Es war in der Vergangenheit nicht immer leicht, die Bayern zu lieben, wenn man nicht gerade seine Nachtruhe in der Bettwäsche des Klubs verbrachte. Der Basketball der Münchner war extrem an zweckgebundenen Ergebnisprämissen orientiert und besaß nur bedingt ästhetische Komponenten – Basketball wurde oft gearbeitet und selten gespielt oder gar zelebriert. Unter Andrea Trinchieri waren die Bayern eine Halbfeldteam und suchten ihre Optionen vornehmlich im Low Post. Der Trainertausch 2023 zu Pablo Laso brachte im Ergebnis den Doublegewinn, aber der erhoffte Paradigmenwechsel zu attraktiverem Basketball war damit nicht verbunden. Aber das, was schon vor der vergangenen Spielzeit auf dem Wunschzettel der Münchner Führungsriege gestanden haben dürfte, ist jetzt Realität. Die Mannschaft spielt schnell, spektakulär und äußerst erfolgreich. Viele frühere Bayern-Skeptiker zeigen sich begeistert von den aktuellen Vorstellungen, insbesondere in der Euroleague (Heimbilanz: 6-0). Es macht einfach einen Riesenspaß, dieser Mannschaft zuzuschauen. Woran liegt das?
Entspannte Kieferknochen statt knirschender Zähne
Zunächst einmal daran, dass die Akteure selbst eine Spielfreude an den Tag legen, die in der Innen- und Außenwirkung ansteckende Tendenzen beinhaltet. Die Spieler wirken happy. Während in den vergangenen Jahren der auf ihnen lastende Druck immer erkennbar war, spürt man jetzt eine nicht gekannte Leichtigkeit. Bei Vlado Lucic, der früher selbst nach eigenen Glanzpartien kaum lächelte, erhalten die Ohren jetzt sogar Besuch von den Mundwinkeln, obwohl er nur am Rande der Bande verletzt den Vorstellungen seiner Teamkollegen beiwohnt. Ein anderes Beispiel: Kevin Yebo, der in der europäischen Königsklasse kaum Spielanteile erhält, freut sich wie ein kleines Kind über seinen Dreier zum Hunderter gegen Barcelona. Sollten die Bayern-Spieler früher oft mit mahlenden Zähnen geschlafen haben, ist davon ausgehen, dass jetzt in der Nacht ein seliges Lächeln auf dem Antlitz ruht. Aus verbissener Arbeit ist genussvolles Spiel geworden.
Diese Entwicklung darf zu einem gehörigen Teil Gordon Herbert zugeschrieben werden. Die psychologische Expertise des Kanadiers ist hinlänglich bekannt. Der Weltmeistertrainer versteht es exzellent, Rollen zuzuweisen, mit denen sich die meisten Spieler hingebungsvoll identifizieren.
Freies Spiel mit Tempo und Dreiern
Taktisch geht der 65-Jährige aus meiner Sicht grundsätzlich anders vor als in seiner Zeit als Frankfurter Vereinscoach. Er setzt auf mehr Variabilität und ist bereit, den Spielern viele Freiheiten zu gewähren. Das mündet in einen Hochgeschwindigkeitsbasketball mit vielen Dreiern. Kein Team in der Euroleague trifft häufiger aus der Distanz als der Deutsche Meister (zwölf Dreier pro Partie). Mit 89,6 Punkten im Schnitt legen die Münchner als Team den Bestwert in der Euroleague auf und stellen mit Carsen Edwards (21,4) auch den Topscorer. Der Shooting Guard spielte schon in den BBL-Finals der vergangenen Saison stark auf und überragte im entscheidenden vierten Spiel mit 29 Punkten, darunter sieben von zehn Dreiern, aber davor fiel er auch immer mal wieder mit fragwürdiger Entscheidungsfindung auf: hier ein wilder Drive gegen eine vollgepackte Zone, da ein hastiger Dreier zur falschfrühen Zeit, dort ein überstürztes Foul, obwohl sein Team im Bonus ist. Aber diese Saison passt alles zusammen bei Edwards und er erinnert mehr und mehr an den überragenden Spieler aus dem NCAA-Tournament von 2019. Der 26-Jährige spielt aktuell den besten Basketball seiner Profikarriere. Gleiches gilt für Nick Weiler-Babb und Devin Booker. In der derzeitigen Form sind die Bayern eindeutiger Favorit auf die Deutsche Meisterschaft, und in der Euroleague traue ich ihnen die Playoffs zu, wovon ich vor Saisonbeginn nicht überzeugt war. Im Final Four sehe ich sie aber (noch) nicht.
Kochs Nachschlag
Wo könnten die Stolpersteine für die Münchner liegen? Wir alle wissen, dass Gordie Herbert gerne mit Neun- oder maximal Zehn-Mann-Rotationen spielt. Yam Madar wechselte zu Hapoel Tel Aviv, weil er als dritter Point Guard hinter Weiler-Babb und Shabazz Napier unzufrieden mit seinen Minuten war. Und das könnte anderen Spielern auch so gehen, wenn Lucic und Niels Giffey wieder einsatzbereit sind. Durch die Nachverpflichtung von Bitim Onuralp stehen 14 Akteure zur Verfügung, die Ansprüche auf Spielanteile stellen dürfen. Mit Lucic, Giffey und Onuralp stoßen dabei drei Spieler neu oder erneut dazu, die alle auf der Drei auflaufen können. Dort startet derzeit aber Kunstschütze Andi Obst (hier noch mal die elf Dreier von seinem Euroleague-Rekord gegen Barcelona), der dann möglicherweise zurück in die Backup-Rolle hinter Edwards müsste.
Lucic und Giffey sind aber auch als Power Forward einsetzbar, und mit Johannes Voigtmann, Oscar da Silva und Booker sind nur drei Bigs gesetzt. Das könnte bedeuten, dass die Luft für Elias Harris, Danko Brankovic und Yebo sehr dünn werden würde. Mal schauen, ob Herbert seinem zweiten Anzug zukünftig mehr Möglichkeiten im nationalen Wettbewerb gibt, was vor allem für Youngster Ivan Kharchenkov wichtig wäre. Diese künftige Qual der Wahl für Herbert birgt durchaus Gefahren, aber ich erwarte nicht, dass sie das schon sehr gefestigt wirkende Gebilde zum Wackeln bringen werden.