Nachdem wir in der vergangenen Spielzeit mit dem Duell zwischen ratiopharm ulm und den Telekom Baskets Bonn eine zuvor noch nie dagewesene Finalpaarung erleben durften, haben wir am Ende dieser Saison „business as usual“. Der FC Bayern München und ALBA BERLIN stehen sich zum sechsten Mal innerhalb von zehn Jahren im Kampf um die nationale Krone gegenüber.
Die von den Medien gerne beschworene Brisanz dieser Rivalität liegt für mich eher in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Dementsprechend erwarte ich nicht, dass von Anfang an die Fetzen fliegen werden. Aber andererseits wissen wir auch, wie schnell eine einzige hitzige Situation die Gemüter in den roten Bereich katapultieren kann. Solange Emotionalität mit Fairness einhergeht, können alle Beteiligten gut damit leben. Das wünsche ich mir genauso wie keine weiteren Verletzungen. Denn es gab bislang zu viele, und die haben meine insgesamt große Freude an diesen Playoffs doch ein wenig eingetrübt.
Die Ausgangslage
Den eng getakteten Rhythmus mit nur einem Tag Pause zwischen den Begegnungen kann man fast schon als brutal bezeichnen. Entsprechend ist es ein großes Plus für die Münchner, dass sie ihr Duell mit den ersatzgeschwächten, aber tapfer kämpfenden Würzburger in drei Spielen beendeten, während die Albatrosse gegen Chemnitz in einer extrem intensiven Serie über die volle Distanz gehen mussten. Berlin fährt personell auf den Felgen und muss nach Matteo Spagnolo und Ziga Samar mit Martin Hermannsson (Saisonaus nach einer Wadenverletzung am Dienstag in Chemnitz) jetzt auch noch den dritten Point Guard ersetzen. Außerdem ist auch für Gabriele Procida die Saison beendet. Dazu spielte Weltmeister Johannes Thiemann (Patellasehnenreizung) in der fünften Partie am Donnerstag auf einem Bein und dürfte für die Finalserie fragwürdig sein. Die Bayern können dagegen noch an Qualität zulegen. Zumindest war zu hören, dass die Chance für eine Rückkehr von Sylvain Francisco (Knie) und Nick Weiler-Babb (Wade) durchaus gutstehen.
Die Serie aus Münchner Sicht
Auf die Verteidigung Münchens war in den Playoffs bislang Verlass. Sieht man von der Auftaktniederlage gegen Ludwigsburg ab, haben die Bayern bei den sechs Siegen danach nur knapp mehr als 70 Punkte pro Spiel zugelassen. Dabei gehen die Schützlinge von Pablo Laso eher konservativ vor, nehmen solide Positionen ein und gehen nicht großartig ins Risiko. Jetzt kommen die Berliner ohne echten Spielmacher, womit sich die Frage stellt, ob der Hauptrundenprimus nicht deutlich mehr Druck gegen den Ballvortrag ausüben sollte. Entscheiden sich die Bayern dafür, dann wären Leandro Bolmaro, der möglicherweise zurückkehrende Nick Weiler-Babb und eventuell Isaac Bonga Kandidaten, um Malte Delow Feuer zu machen. Genauso wäre es eine Option, die funktionierende defensive Identität nicht zu verändern. Es wird spannend zu sehen sein, wofür Laso sich entscheidet.
Die Serie aus Berliner Sicht
Malte Delow, Matt Thomas und Sterling Brown müssen sich weiterhin stark in die Offensive einbringen. Da wäre angesichts der aktuellen Situation die aufreibende Aufgabe, den Münchner Topscorer Carsen Edwards zu verteidigen, eine schon grenzwertige Herausforderung. Entsprechend kann ich mir vorstellen, dass Jonas Mattisseck zumindest phasenweise mit dieser Sondermission beauftragt wird. Auch unter dem Korb werden die Hauptstädter alle Hände voll zu tun haben. Wenn Johannes Thiemann ausfallen sollte, müssten Justin Bean und Louis Olinde als Power Forwards aushelfen. Das würde in den Minuten, in denen Devin Booker auf der Bank sitzt, den meisten Sinn ergeben. Auf der Centerposition kann Yanni Wetzell meines Erachtens gegen Serge Ibaka kaum bestehen, was wiederum Khalifa Koumadje zu einer Schlüsselfigur macht. Kann er seine Fouls managen, kann er den ehemaligen NBA-Champion am Perimeter zumindest einigermaßen covern?
Kochs Nachschlag
Werden diese Fragen verneint, müsste Israel Gonzalez die Zonenverteidigung ins Auge fassen, mit der er die NINERS im fünften Spiel entscheidend aus dem Tritt brachte. Aber gegen München wird das extrem schwer, weil die Bayern im Saisonverlauf fast 41 Prozent ihrer Dreier eingetütet haben. Trotz der Ausfälle verfügen die Berliner immer noch über eine Zehn-Mann-Rotation, in der aber jeder Einzelne in der Nähe seines Optimums agieren muss, um die favorisierten Bayern zu besiegen.
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.