Sowohl bei uns in der Liga als auch generell im Weltbasketball gibt es immer mehr Beispiele, in denen ein Distanzschütze eine bis zu zweistellige Anzahl von Dreiern in einer Partie netzt. Die Gründe dafür sind vor allem der moderne Basketball mit großen Spielern mit Range sowie verfeinerte Trainingsmethoden für außergewöhnliche Schützen.
Am Sonntag saß ich in Heidelberg im SNP-Dome und durfte einer Shooting Clinic beiwohnen, die höchsten Ansprüchen genügte. Der Oldenburger Justin Jaworski versenkte an alter Wirkungsstätte elf Dreier und benötigte dafür lediglich 14 Versuche. Mit einem Treffer mehr hätte er die Ligabestmarke der beiden Bonner Hurl Beechum (1998) und Darius McGhee, der in dieser Spielzeit am 21. Dezember in Chemnitz bei 16 Würfen das Dutzend vollmachte (und zwei Wochen zuvor in Oldenburg bereits zehn Mal von Downtown eingenetzt hatte), eingestellt. Zudem durften wir in dieser Saison bei Andreas Obst seinen Euroleague-Rekord von elf Dreiern bestaunen, die ihm am 22. November gegen den FC Barcelona gelangen.

Und schließlich muss in diesem Atemzug natürlich noch der Spieler genannt werden, der Jaworski, McGhee, Obst und andere Kunstschützen erst inspiriert hat. Stephen Curry, der in diesem Monat 37 Jahre alt wird, legte am 28. Februar in Orlando 56 Punkte auf und traf dabei zwölf Mal von jenseits des Halbkreises. Ich bin ein Kritiker der defensiven Intensität in der NBA, aber diese für Currys Ausbeute verantwortlich zu machen, wäre klischeehaft und falsch. Stattdessen darf man konstatieren, dass die Distanzschützen besser als je zuvor sind.
Der Counter-Move ist essenziell wichtig
Es gibt zweifellos viele Dreierspezialisten, aber die Spreu trennt sich vom Weizen über die Fähigkeit zum Counter-Move, wenn der Dreier von der Defense hart verteidigt wird. Es ist in den letzten drei Jahren häufig thematisiert worden, wie gut Andi Obst mittlerweile auch passen und den Korb attackieren kann. Aber genau das ist eine Grundlage seines Erfolges als Werfer. Wenn er einen Block nutzt (sei es ein direkter oder ein indirekter) und der Verteidiger des Blockstellers an ihm hilft oder hart doppelt, um den Dreier zu verhindern, ist er in der Lage, seinen abrollenden Teamkollegen mit dem Pass zu finden. Kommt es zum Switch, kann er den größeren Verteidiger aus dem Dribbling schlagen oder sich mit einem Stepback den Platz für den Wurf verschaffen. Letzteres ist natürlich grundsätzlich in jedem 1-1-Duell möglich, wer aber vor 30 Jahren einen solchen Abschluss gewählt hätte, wäre höchstwahrscheinlich vom Coach sofort ausgewechselt und wegen „katastrophaler Wurfauswahl“ kritisiert worden. Spätestens aber seit James Harden diesen Stepback-Wurf salonfähig gemacht hat, trainieren ihn viele Spieler. Neben Übungen und Serien mit dem Distanzwurf aus dem Block sind mittlerweile auch Dreier aus dem Dribbling und aus dem Schnellangriff fester Bestandteil des modernen Trainings.

Die Dilemmata der Verteidigung
Zu meiner Zeit als Coach hatten wir gegen starke Dreierwerfer ein klares Ziel und eine klare Handlungsanweisung. Das Ziel lautete, einem Hurl Beechum nicht mehr als fünf Versuche in einem Spiel zu gestatten. Und wir gaben unseren Verteidigern als Handlungsanweisung mit, dass es nicht ausreicht, den Wurf wegzunehmen, sondern dass sie so aggressiv sein sollten, dass der Angreifer dribbeln muss.
Doch heute ist alles schwieriger. Das hängt zum einen mit der unglaublichen Qualität der Werfer zusammen (McGhee hat in dieser Saison als Rechtshänder sogar einen Dreier mit links getroffen und Obst im Training bekanntermaßen sogar mal zehn in Serie mit links!) und ihrer Fähigkeit, aus dem Cut und aus dem Dribbling Abstand zum Verteidiger zu generieren. Dazu kommt, dass die Range immer größer wird. Jaworski traf in Heidelberg extrem tiefe Dreier und feuerte diese zum Teil direkt in der Transition Offense ab. Aber auch nach Switches war er im 1-1 in der Lage, von jenseits der 6,75 Meter einzutüten (sein ehemaliger Teamkollege Marcel Keßen war mehrfach der Leidtragende). Viele Verteidiger müssen doch ein klein wenig Abstand lassen, weil sie Angst haben, den Drive abzugeben.

Warum ist das so? Weil im modernen Basketball hinter ihnen nicht mehr so viel direkte Hilfe wartet, denn mittlerweile können auch Big Men den Dreier werfen, was das Spacing entscheidend verändert hat. Lange Spieler verlassen den Raum unter dem Korb und positionieren sich außen. Aufgrund der Wurfqualität dieser modernen Vierer und Fünfer müssen die Verteidiger mit ihnen gehen und können nicht (wie früher) als verlässliche Hilfen in der Zone parken. Damit besteht die Gefahr, dass der Topwerfer, wenn man ihm konsequent den Dreier als seine erste Option wegnimmt, bis zum Ring attackiert oder – im Falle einer Hilfe – den Ball nach außen kickt, wo dann ein Mitspieler den offenen Dreier genauso hochprozentig versenkt wie er selbst unter (moderatem) Druck.
Kochs Nachschlag
Der Trend zum Dreier ist eine Entwicklung, die wir schon länger verfolgen. In dieser Saison nehmen die Bayern von allen BBL-Teams anteilsmäßig die meisten Würfe von außen (48,5 Prozent). Aber ich habe – anders als manche Experten – keine große Sorge, dass unser geliebtes Spiel in eine Dreierorgie abgleiten könnte. Letztendlich musst Du nehmen, was die Verteidigung Dir gibt. Die nächste Veränderung, die nächste Entwicklungsstufe ist nur eine Frage der Zeit. Aber bis dahin nehmen wir besondere Abende, an denen uns Spieler wie McGhee, Jaworski oder Obst verzaubern, gerne mit.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.