Der FC Bayern München startete als klarer Favorit in die Finalserie um die Deutsche Meisterschaft, vor allem auch, weil der Kontrahent ALBA BERLIN in der entscheidenden Saisonphase auf vier ausländische Profis verzichten muss. Mit Martin Hermannsson, Matteo Spagnolo und Ziga Samar fallen alle Point Guards aus, und auch Gabriele Procida wird in dieser Spielzeit nicht mehr zum Einsatz kommen. Dahingegen kann Bayern-Dirigent Pablo Laso mittlerweile wieder mit vollem Orchester musizieren, auch wenn er Sylvain Francisco nach seiner dreieinhalbwöchigen Pause noch nicht wieder eingesetzt hat. Dennoch waren die Berliner in der Lage, ein Spiel in München zu stehlen. Wie haben Sie das geschafft?
Zunächst einmal war es sportlich und psychologisch eminent wichtig, dass Kapitän Johannes Thiemann zur zweiten Partie zurückkehrte. Der Weltmeister plagt sich mit Patellasehnen-Beschwerden und ist offensichtlich massiv angeschlagen. Wie er trotzdem alles für die Mannschaft gibt, nötigt einerseits selbst den Bayern-Fans höchsten Respekt ab und treibt andererseits Bundestrainer Gordon Herbert Sorgenfalten auf die Stirn. Der 30-Jährige steht stellvertretend für die Resilienz der Berliner, die sich auch von einem starken Münchner Start im zweiten Spiel nicht beeindrucken ließen und mit Starpower und kluger Verteidigung konterten.
Blick auf die Starpower bei beiden Teams
Wir schwärmen immer wieder davon, wie großartig Andi Obst über die Blöcke in seinen Wurf kommt. So wie die Playoffs bislang verlaufen sind, muss diesbezüglich aber auch Matt Thomas in einem Atemzug genannt werden. Angesichts des Tempos und der Konstanz, mit denen sich der Amerikaner abseits des Balles bewegt, dürfen wir ihm einen herausragenden Motor bescheinigen. Seine Dreier kommen aus großer Distanz und gegen hohen Druck, was seine Playoff-Quote von über 50 Prozent noch beeindruckender erscheinen lässt. Neben ihm produziert auch der zweite frühere NBA-Spieler in Berliner Reihen. Sterling Brown ist ein exzellenter Scorer und definitiv einer der besten 1-1-Spieler der Liga, aber wie er jetzt auch die Rolle des Vorbereiters ausfüllt, ist ein Riesenbonus für die Albatrosse. Klar, in der Auftaktpartie in München unterliefen im acht Ballverluste, die er in der zweiten Begegnung halbierte. Dazu legte er dann neun Assists auf und fand immer wieder seine abrollenden Center aus dem Pick and Roll.
Halten die Big Guns der Bayern im Starpower-Vergleich dagegen? Bislang nur bedingt. Nach einem starken Auftritt zum Finalauftakt konnte Kapitän Vlado Lucic nicht nachlegen. Carsen Edwards hat zwar gescort, aber nur 25 Prozent seiner Dreier einnetzen können, nachdem er im Viertel- und Halbfinale noch starke 48 Prozent getroffen hatte. Dazu liegt der NBA-Champion Serge Ibaka mit durchschnittlich sieben Punkten und vier Rebounds noch deutlich hinter den Erwartungen und konnte weder seinen physischen Vorteil gegen Yanni Wetzell noch seine Face-up-Optionen gegen Khalifa Koumadje ausspielen.
Der Bolmaro-Verteidiger als Libero
Woran liegt das? ALBA-Coach Israel Gonzalez hat ein kluges taktisches Konzept entworfen. Im Prinzip ist es nicht neu, den Dreier von Leandro Bolmaro nicht zu respektieren, aber Berlin setzt es perfekt um. Malte Delow, der am meisten gegen den Argentinier verteidigt, spielt eine Art Libero, lässt Bolmaro viel Platz und hilft überall dort aus, wo es brennt. Das kann bei Post-ups sein oder wenn die Werfer Edwards und Obst um die Blöcke kommen und er fast schon wie ein zweiter Verteidiger in ihre Richtung absinkt. Nicht umsonst waren Obst und Ibaka, der für die kommende Saison vehement mit Real Madrid in Verbindung gebracht wird, mit je vier Assists die besten Münchner Passgeber im zweiten Spiel, weil sie gegen diese Variante richtige Entscheidungen trafen. Aber damit kann Berlin gut leben. Zwar hat Bolmaro in der Serie bislang drei von fünf Dreipunktewürfen getroffen. Aber das ist vom Volumen her zu wenig. Zudem nahm er diese Würfe, nachdem die Berliner zuvor wichtigere Offensivoptionen der Bayern ausgeschaltet hatten. Damit kann der Underdog gut leben.
Kochs Nachschlag
Was sollten die Bayern also tun? Es mag absurd klingen, aber eigentlich müsste Bolmaro den Ball vordribbeln und drei Dreier in Folge reinwerfen, damit die Berliner ihn ehrlich verteidigen. Dies beinhaltet zwei Risiken. Was macht es mit Bolmaros Selbstvertrauen, wenn er diese Würfe nicht trifft, und was macht es mit dem Rhythmus der Mannschaft, die diese unorthodoxe Vorgehensweise nicht kennt?
Die Berliner sind auf einem guten Weg. Ihr Energiehaushalt wird weiter ein ganz entscheidender Faktor sein. Aber sie müssen jetzt auch die Bayern vor neue Herausforderungen stellen. Die 1-3-1-Zone, die Gonzalez im ersten Spiel einstreute und die sehr ordentlich aussah, wäre eine solche Möglichkeit.
Bereits vor den BBL-Finals hatte Stefan Koch die Ausgangslage aus Münchener und Berliner Sicht analysiert: klick!
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.