Der Gewinn der Weltmeisterschaft 2023 ist der größte Triumph in der Geschichte des deutschen Basketballs. Mit dem 33-Jährigen Niels Giffey hat jetzt der Senior unter den Titelträgern als erster seinen Rücktritt aus der DBB-Auswahl bekannt gegeben. Mit Dennis Schröder, Maodo Lo, Johannes Thiemann, Johannes Voigtmann und Daniel Theis haben fünf weitere Champions bereits ihren 30. Geburtstag gefeiert, weshalb man nicht ausschließen kann, dass in nächster Zeit vielleicht der eine oder andere Teamkollege Giffeys Beispiel folgen wird. Doch welche Rolle hatte der Forward im Nationaltrikot? Letztendlich stand Niels Giffey nie im Scheinwerferlicht, war aber immer ein verlässlicher Faktor. So auch beim Titelgewinn in Südostasien, bei dem er in sieben Partien im Schnitt zehn Minuten auf dem Parkett stand.
Rollenspieler Deluxe
Zuletzt waren seine Minuten als Backup von Franz Wagner extrem überschaubar. Bei der EM 2022 wurde er noch in allen Partien eingesetzt, gute 14 Minuten im Schnitt (5,9 Punkte bei 61,8 Prozent aus dem Feld), aber zwei Jahre später gab es bei den Olympischen Spielen nur Kurzeinsätze in zwei der sechs Partien. Aber Gordon Herbert wusste trotzdem genau, was er an Giffey hat(te). Der gebürtige Berliner verfügt über ein exzellentes Rollenverständnis, ist immer mit dem Distanzwurf gefährlich, verteidigt gut und … er macht einfach keine Fehler. Er kann als Power Forward mit Dreier-Händchen das Feld weit machen und als Small Forward effektiv mit dem Rücken am Korb agieren, was er unter Aito in Berlin fast bis zur Perfektion vorangetrieben hat. Auch im Post erhält man typische Giffey-Tugenden: keine spektakulären, sondern grundsolide Abschlüsse, die auf guter Fußarbeit basieren. „Fundamentally sound“, würde der Amerikaner sagen. Trotzdem war er auch immer bereit für starke Szenen und wichtige Würfe, wenn seine Nummer in brisanten Momenten aufgerufen wurde. Erwähnt sei der Euroleague-Krimi mit den Bayern vor einem Jahr in Villeurbanne, in dem er zwei Sekunden vor dem Ende der zweiten Overtime ebenso vorrauschauend wie clever von der Helpside kommend ein Foul zog und anschließend einen Freiwurf zum 101:100-Sieg einnetzte. Und wir alle erinnern uns an seinen Turnaround-Jumper mit dem Buzzer am Ende des dritten Viertels gegen Slowenien:
Auch weil er nach solchen Szenen immer relativ abgeklärt reagierte, ist es nicht verwunderlich, dass die Öffentlichkeit eher auf seine Mitspieler mit Starpotenzial achtete wie auf seinem Spot jetzt Franz Wagner und zuvor Robin Benzing. Ja, Niels Giffey ist nicht nur wegen seines Skillsets der perfekte Rollenspieler, sondern auch wegen seines Mindsets. Er hat nie versucht, sich in den Vordergrund zu stellen und sieht immer die Interessen des Teams vor seinen eigenen. Auch deshalb war er Mannschaftskapitän von ALBA BERLIN.
Als Spielertyp Combo-Forward steht Niels in der Tradition von Henning Harnisch und Ademola Okulaja. Dachte man zu Beginn seiner Karriere noch, dass er eine Drei/Zwei werden könnte, entwickelte er sich mit den Tendenzen des modernen Basketballs zu einer Drei/Vier. Wer den Bayern-Profi aber auf einen „3 And D“-Basketballer reduziert, liegt falsch und unterschätzt sowohl seinen Werkzeugkasten (wie seine EL-Highlights aus 2023/24 zeigen) als auch seine Mentalität. Dass Giffey trotz all seiner Qualitäten „nur“ ein Rollenspieler im Nationalteam war, zeigt vielmehr, wie weit sich der deutsche Basketball entwickelt hat.
Ein echter Titelhamster
Seit dem Sommer 2013 lief Giffey insgesamt 118 Mal für die DBB-Auswahl auf und nahm an sieben großen Turnieren teil, drei Europameisterschaften (2013, 2015, 2022), zwei Weltmeisterschaften (2019, 2023) und zwei Olympischen Spielen (2021 und 2024). Dabei gewann er neben dem Weltmeistertitel die EM-Bronzemedaille 2022 und stand in diesem Sommer im Halbfinale bei den Olympischen Spielen. Neben den Erfolgen mit dem Adler auf der Brust konnte Niels acht nationale Titel auf Vereinsebene in Europa gewinnen. Dazu kommen seine zwei College-Meisterschaften mit der University of Connecticut (2011 und 2014). Was ist das für eine Hochschulkarriere, die Du mit einem Titel beginnst und beendest!
Blicken wir auf Trophäengewinne und Edelmetall mit Nationalmannschaft, Klub und Uni so bewegt sich der Siegertyp Niels Giffey in einem äußerst elitären Kreis des deutschen Basketballs:
- Michael Koch (14 nationale Titel, Europameister 1993, Euroleague-Champion 2000)
- Henning Harnisch (14 nationale Titel, Europameister 1993)
- Henrik Rödl (elf nationale Titel, College-Champion 1993, Europameister 1993, Korac-Cup-Sieger 1995, WM-Bronze 2002)
- Patrick Femerling (13 nationale Titel, WM-Bronze 2002, Euroleague-Champion 2003, EM-Silber 2005)
- Tibor Pleiß (elf nationale Titel, Euroleague-Champion 2021 und 2022)
Kochs Nachschlag
Im DBB-Team standen und stehen auf Giffeys Position mit Franz Wagner und Isaac Bonga weiterhin zwei Ausnahmekönner zur Verfügung, zu denen Louis Olinde stößt, der sofort Giffeys Spot übernehmen könnte. Und auch für die Zukunft müssen wir uns keine Sorgen machen, denn mit Ivan Kharchenkov steht schon ein Spieler der nächsten Generation bereit, die übrigens auch genügend Alternativen bietet, wenn die Guards und Big Men aus der aktuellen Ü30-Fraktion in absehbarer Zeit zurücktreten sollten. Ich denke an Talente wie Christian Anderson, Jack Kayil, Tristan da Silva, Ariel Hukporti, Johann Grünloh, Hannes Steinbach und Eric Reibe, die bei Olympia 2028 zwischen 22 und 27 Jahren alt wären.
Es sieht also gut aus und auch wenn wir Niels Giffey im Nationaltrikot vermissen werden, gönnen wir ihm, dass er künftig mehr Zeit für die Familie haben wird. Wir sagen „Danke, Niels“ und werden uns nicht nur an seine Highlights von der EM 2022 erinnern, bei der er in seiner Heimatstadt Berlin die Bronzemedaille gewann: