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Kochs NachschlagHeadcoach mit Sonderstatus: Sebastian Gleims Weg in die Bundesliga

06. Januar 2022
Die HAKRO Merlins Crailsheim haben sechs ihrer letzten sieben Partien gewonnen, sind die zurzeit heißeste Mannschaft der Liga und haben in der Saison mit Hamburg, Bayern und Bonn bereits drei Mal den zu dem Zeitpunkt aktuellen Tabellenführer besiegt. Und mit Sebastian Gleim steht ein Coach an der Seitenlinie, der mittlerweile einen absoluten Sonderstatus einnimmt.

Die HAKRO Merlins Crailsheim haben sechs ihrer letzten sieben Partien gewonnen, sind die zurzeit heißeste Mannschaft der Liga und haben in der Saison mit Hamburg, Bayern und Bonn bereits drei Mal den zu dem Zeitpunkt aktuellen Tabellenführer besiegt. Und mit Sebastian Gleim steht ein Coach an der Seitenlinie, der mittlerweile einen absoluten Sonderstatus einnimmt.

Wer sich als deutscher Basketballtrainer in der Bundesliga etablieren möchte, der muss sich auf einen steinigen und möglicherweise sogar unpassierbaren Weg begeben. Aktuell verfügen nur drei der 18 Übungsleiter über die deutsche Staatsbürgerschaft, wobei John Patrick (Ludwigsburg) und Mladen Drijencic (Oldenburg) ihren Pass erst im Laufe ihrer Tätigkeit in Deutschland erhielten. So bleibt nach der Entlassung von Denis Wucherer im Dezember in Würzburg mit Sebastian Gleim nur ein Coach, der seine Basketballausbildung hierzulande genossen hat. Wucherer passt perfekt in die Schublade des erfolgreichen früheren Profis, der seinem Sport dann auch als Trainer verbunden bleibt. Aber wo muss Gleim verortet werden?

Aus der Basketballdiaspora in die BBL

Der mit 37 Jahren jüngste Cheftrainer der Liga ist seinen ganz eigenen Weg gegangen, hat seinen Traum nie aus den Augen verloren und seit seinem Wechsel vor dieser Saison von Frankfurt nach Crailsheim seinen Marktwert deutlich gesteigert. Den ersten Kontakt mit dem orangenen Ball bekam er im nordosthessischen Bad Hersfeld, das man getrost als Basketballdiaspora bezeichnen darf. Nach dem Trainerstart in seiner Geburtsstadt arbeitete er zwischen 2005 und 2014 in Bremerhaven und Wedel als Jugendtrainer, Co-Trainer der ersten Herrenmannschaft, Jugendkoordinator und 2013/2014 als Head Coach in der ProB. Danach folgte der Wechsel nach Frankfurt, wo er zunächst in vergleichbaren Funktionen aktiv war. 2019 wurde er nach dem Abgang des aktuellen Bundestrainers Gordon Herbert als neuer Head Coach des Bundesligateams vorgestellt. 

In seinen zwei Jahren als Cheftrainer der FRAPORT SKYLINERS wirkte Gleim wie ein Mensch, der unter Dauerdruck steht. Obwohl er unter teilweise schwierigen Bedingungen respektable Ergebnisse lieferte, konnte er sich nie wirklich freischwimmen. Als ihm der Club anbot, zukünftig nicht mehr als Coach, sondern als Sportdirektor tätig zu sein, lehnte der Familienvater ab. Sebastian Gleim wollte immer Trainer sein, und das hatte sich nicht geändert.

Die Chance in Crailsheim genutzt

So akzeptierte er die Offerte aus Crailsheim, die Nachfolge von Tuomas Iisalo anzutreten. Der Finne hatte mit den Merlins zuletzt zwei märchenhafte Spielzeiten hingelegt, und es gab genügend Skeptiker, die bezweifelten, dass Gleim diese Erfolge würde fortsetzen können. Bislang hat er die Erwartungen aber mehr als nur erfüllt. In der Liga stehen die Hohenloher auf dem vierten Platz und konnten sechs ihrer letzten sieben Partien gewinnen. Im Pokal haben sie das Halbfinale erreicht und verfügen über gute Chancen gegen Braunschweig, ins Endspiel einzuziehen. Und im internationalen Wettbewerb (FIBA Europe Cup) wurde die Vorrunde überstanden. 

Aber die Crailsheimer erleben nicht nur einen erfolgreichen Sebastian Gleim, sondern auch einen veränderten. Der Coach gibt seinen Akteuren mehr Freiheiten und setzt stärker auf Tempo als in Frankfurt. Mit 115,2 Punkten pro 100 Ballbesitze stellt Crailsheim die zweiteffektivste Offensive der Liga. Während Gleim am Main noch eine offensichtlich große Distanz zu seiner Mannschaft pflegte, wirkt er jetzt nahbarer und entspannter im Umgang mit seinen Spielern.

Kochs Nachschlag

Sebastian Gleim hat gezeigt, dass es auch als deutscher Coach möglich ist, seinen Weg bis in die Bundesliga zu gehen. Aber die Rahmenbedingungen für junge Trainertalente müssen verbessert werden, damit er zukünftig auch einmal deutschen Kollegen gegenübersteht. Letztendlich ist Gleims Werdegang nicht nur untypisch, sondern eigentlich im deutschen Basketball gar nicht vorgesehen. Vereinfacht gesagt: In den traditionellen Basketballländern Süd- und Südosteuropas ist es durchaus üblich, dass ein junger Trainer sich im Jugendsektor seine ersten Sporen verdient, dann bei entsprechender Perspektive seine Chance als Assistenztrainer im Profibereich erhält und letztendlich den Sprung zum Head Coach auf höchster Ebene schafft. In Deutschland ist diese Durchlässigkeit kaum gegeben. Wer einmal Jugendtrainer ist, bleibt in der Regel im schlechtbezahlten Nachwuchsbereich hängen, in dem es bis auf wenige Ausnahmen extrem schwer ist, mit Basketball seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die wenigen Glücklichen, die den (ersten) Sprung als Co-Trainer zu den Profis schaffen, werden dort in der Regel zum Videoschneiden verdonnert. Die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten als Trainer zu präsentieren und zu entwickeln, erhalten sie kaum. Entsprechend ist der Berufswunsch „Basketballtrainer“ in unseren Breiten nicht häufig zu finden – und das muss sich ändern!

Zur Person

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.

Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.