Vor einer Woche habe ich mich in diesem Nachschlag mit den Fragen beschäftigt, die sich im Zusammenhang mit der Nominierung des finalen Olympiakaders stellten. Wenn ihr noch einmal auf den Link geklickt habt, konntet ihr nachlesen, dass das Team ziemlich genau so aussieht, wie ich es erwartet hatte. Zugegeben, es war nicht sonderlich schwer zu prognostizieren, dass sich Gordon Herbert für diese zwölf Spieler entscheiden würde: Dennis Schröder, Maodo Lo, Nick Weiler-Babb, Isaac Bonga, Andreas Obst, Franz Wagner, Niels Giffey, Johannes Thiemann, Oscar da Silva, Johannes Voigtmann, Moritz Wagner und Daniel Theis. Im Vergleich zum WM-Aufgebot gibt es nur zwei Veränderungen. David Krämer, der beim Titelgewinn die kleinste Rolle spielte, ist überhaupt nicht mehr dabei. Dagegen gibt es für den zweiten (vorläufig) gestrichenen Weltmeister noch Hoffnung. Justus Hollatz trainiert weiter mit der Mannschaft und würde im Falle einer Verletzung doch mit nach Frankreich fahren. Für Louis Olinde, der in meiner Wahrnehmung von Anfang an über die wenigsten Chancen verfügte, ist der Traum ebenso geplatzt wie für Leon Kratzer, der in den beiden Testspielen gegen Frankreich zu wenig auf die Kette bekam, um sich aufzudrängen.
Die Stärken
Bei zehn Weltmeistern und Nick Weiler-Babb, der 2022 EM-Bronze gewann und im letzten Jahr nur wegen einer Verletzung fehlte, ist die Kontinuität natürlich ein großer Pluspunkt. Damit meine ich sowohl Kontinuität in der Spielstruktur als auch in der sozialen Chemie. Denn in beiden Bereichen sind die Schlüsselspieler wieder an Bord. Der Wechsel von zwei Spielern im Kader kann durchaus dramatische Folgen haben, wenn es sich um absolute Erfolgsgaranten handelt, aber das waren Hollatz und Krämer bei allem Respekt nicht. Dazu kommt, dass der Bundestrainer an der Rollenverteilung vermutlich nur minimale Veränderungen vornehmen wird. Mit Weiler-Babb, Obst, Bonga und Giffey standen vier Spieler in der vergangenen Saison beim gleichen Klub, dem FC Bayern München, unter Vertrag. Das mag bezüglich der Vertrautheit und des Vertrauens bei Automatismen und Reads helfen, wird aber aus meiner Sicht eher über- als unterschätzt.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Länge der Mannschaft. Acht Spieler sind 2 Meter oder größer. Jetzt könnte man einwerfen, dass dies gute Voraussetzungen sind, um auch einmal eine Zonenverteidigung einzustreuen. Aber wer Herbert kennt, der weiß, dass er über keine Affinität zu dieser Variante verfügt. Die beiden Längsten im Kader sind Voigtmann und Moe Wagner, die mit jeweils 2,11 Meter gelistet sind, aber auch die Fähigkeit mitbringen zu switchen, so dass in der Mann-Mann-Verteidigung sehr flexibel agiert werden kann.
Die Fragezeichen…
…ergeben sich in erster Linie aus der leichtveränderten personellen Konstellation. Mit Hollatz fehlt ein etatmäßiger Point Guard, was aber aufgefangen werden kann. Mit dem Combo Weiler-Babb und Bongas in München zuletzt wiederbelebten Fähigkeiten im Ballvortrag kann man gut über die Runden kommen, auch wenn Hollatz ein besserer Pick-and-Roll-Spieler ist. Die Hauptlast im Bereich Kreativität liegt ohnehin bei Schröder und Lo, die diesbezüglich in erster Linie von Franz Wagner entlastet werden sollten.
Auf den großen Positionen hängt viel von Thiemanns Gesundheitszustand ab. Ich gehe davon aus, dass der 30-Jährige immer noch Probleme hat. Dafür spricht einerseits, dass Hollatz erst einmal beim Team bleibt und der Bundestrainer mit da Silva im Vergleich zur WM einen fünften Big dazu genommen hat. Das ist komplett mit dessen Leistungen zu rechtfertigen, aber gleichzeitig trotzdem ein Einschnitt in die bisherige Grundstruktur. Ich habe bereits erwähnt, dass die Mannschaft dadurch größer geworden ist. Mehr Größe kann mit weniger Geschwindigkeit einhergehen. In diesem Fall ist das aber nicht so. Denn da Silva ist beweglich und läuft das Feld exzellent. Sollten alle Akteure fit werden, könnte Giffey in die Krämer-Rolle des letzten Jahres rutschen, weil weder auf den Außenpositionen noch als Small-Ball-Vierer Minuten für ihn abfallen dürften.
Kochs Nachschlag
Bislang hat die deutsche Mannschaft zwei Testspiele gegen Frankreich bestritten. Zum Auftakt gab es ohne die Wagner-Brüder, Weiler-Babb, Thiemann und Theis in Köln eine 66:90-Klatsche gegen den Olympiagastgeber, wobei Wunderkind Victor Wembanyama überirdisch agierte. Das zweite Treffen gewann die DBB-Auswahl beim westlichen Nachbarn mit 70:65. Der einzige Spieler (außer Thiemann), um den ich mir Sorgen mache, ist Obst, der noch nicht so ins Spiel integriert ist wie letztes Jahr.
In Montpellier spielten die Deutschen wieder mit den Wagners und Weiler-Babb, während Frankreich auf seinen Superstar verzichtete. Es war eine klare Steigerung der Herbert-Schützlinge, die weiter zueinanderfinden werden. Die kurze Vorbereitungszeit auf die Olympischen Spiele ist ein grundsätzlicher Vorteil für die deutsche Mannschaft, weil sie aufgrund der (personellen) Kontinuität auf in der Vergangenheit Erarbeitetes zurückgreifen kann.
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.