„Der Begriff Derby, häufig auch Lokalderby, bezeichnet eine Austragung im Mannschaftssport, bei der zwei meist rivalisierende Sportvereine einer Region aufeinandertreffen. Für die Fans der betroffenen Vereine haben solche Ereignisse häufig eine hohe symbolische Bedeutung.“
Diese schöne und treffende Definition liefert uns natürlich und wer auch sonst: Wikipedia. Der zweite Satz unterstreicht, dass diese Partien vor allem für die Anhänger einen hohen Stellenwert haben. Das ist unbestritten. Aber wie sehen es Spieler und Coaches? Ich möchte diesbezüglich auf meine eigenen Derby-Erfahrungen zurückgreifen.
Warum überhaupt die Derbys als Thema in diesem Nachschlag? Ganz einfach, weil die Liga mittlerweile die Zeit an und unmittelbar nach Weihnachten auserkoren hat, um einen „Derbyspieltag“ zu etablieren. In der elften Runde kommt es zu sechs Duellen, die so klassifiziert werden könnten: Braunschweig - Göttingen (rund 100 Autokilometer Distanz), Bayreuth - Bamberg (65), Hamburg - Oldenburg (165), Berlin - Weißenfels (200), Ludwigsburg - Ulm (115) und Würzburg - Crailsheim (100).
Meine Erfahrungen und Wahrnehmungen
Ich war der erste Coach der Skyliners in Frankfurt und habe die Hessenderbys noch gut abgespeichert. Für die traditionsbewussten Gießener Fans war der neue Konkurrent aus der Mainmetropole ein „Retortenclub“ und entsprechend aufgeheizt war die Stimmung. Ich erinnere mich an unser Heimspiel im ersten Jahr, in dem es extrem physisch und gallig zuging. Die Spieler gerieten sich in die Wolle, und mein Gegenüber Joe Whelton forderte meine Disqualifikation, nachdem ich bei einer Auseinandersetzung vor unserer Bank (in schlichtender Absicht) auf das Parkett gelaufen war. Beide Aktionen zeigen, wie schwer es auch Coaches fallen kann, Distanz zu wahren. Fünf Jahre später stand ich in Gießener Diensten und realisierte deutlich stärker als zu Frankfurter Zeiten, wie wichtig der Ausgang des Derbys für die Fans war. In der Woche vor dem Spiel wurde man ständig auf dessen Bedeutung hingewiesen. Auch in Quakenbrück hatte der Vergleich mit Oldenburg einen hohen Stellenwert, aber die Atmosphäre war nicht so aufgeladen.
Für die Spieler ist es manchmal schwer, sich in die Gedankenwelt der Fans zu versetzen. Gerade bei kleineren Standorten, die eng beieinander liegen, ist es häufig so, dass die Akteure beider Vereine miteinander befreundet sind. Bei einer Fahrtstrecke von einer Stunde oder weniger setzen sich vor allem die Amerikaner ohne Familie gerne mal ins Auto, um einen Abend miteinander zu verbringen. Deshalb habe ich es auch schon erlebt, dass in Derbys der Umgang der Mannschaften miteinander freundlicher als in anderen Spielen war. Das wurde mir schon bei meinen allerersten Bundesliga-Derbys bewusst, die ich mit Oberelchingen gegen Ulm austrug. Hier wurde mir auch klar, dass ein Derby für die Fans und Verantwortlichen des vermeintlichen Underdogs immer eine größere Bedeutung hat. Der Außenseiter definiert sich deutlich stärker über einen Derbysieg als es der Favorit macht bzw. muss.
Die anstehenden Derbys
Entfernung und Ausmaß der Rivalität bestimmen den Derbycharakter. Deshalb ist Berlin gegen Weißenfels für mich kein Derby. 200 Kilometer Distanz sind eine zu große Entfernung. Der eigentliche Derbykontrahent der Wölfe sind die NINERS Chemnitz. Würzburg und Crailsheim ist gefühlt nur ein geographisches Derby und wird auch von beiden Klubs nicht als solches bezeichnet. Hamburg und Oldenburg liegen relativ weit auseinander, wobei durch die Rückkehr von Pedro Calles und Max DiLeo sowie die Hamburger Ergebniskrise zumindest Würze in der Suppe ist.
Aber die Derbys erster Klasse sind für mich die drei anderen Begegnungen. Braunschweig gegen Göttingen wird von den Fans beider Lager als Derby wahr- und angenommen. Bei Bayreuth gegen Bamberg kocht die oberfränkische Seele, und wenn die Ulmer am Dienstag nach Ludwigsburg reisen, dürfte es auch hoch hergehen. Nicht zuletzt auch, weil die Gastgeber das Playoff-Viertelfinale in der vergangenen Saison klar mit 3:0 für sich entscheiden konnten.
Kochs Nachschlag
Zu meiner Zeit als Coach war es noch nicht so, dass sich die Liga bemühte, den Reiseaufwand um Weihnachten herum möglichst niedrig zu halten. Wenn Du ein Heimspiel hattest, dann war deine Welt halbwegs in Ordnung. Okay, Du musstest spielen, aber konntest die Feiertage zumindest zu Hause verbringen. Wenn Du jedoch auswärts antreten musstest, warst Du manchmal richtig genervt, obwohl Dir bewusst war, dass Partien um die Feiertage und zwischen den Jahren vielen Familien die Möglichkeit eröffneten, gemeinsam ein Spiel zu besuchen. Es war aber einfach nicht schön, sich am Vormittag des ersten Weihnachtstages von seinen Lieben zu verabschieden und einen Bus zu besteigen. Deshalb ist es eine gute und vernünftige Lösung der Liga, die Derbys jetzt zu spielen und so zumindest einigen Auswärtsteams die Anreise am Spieltag zu ermöglichen.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.