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Home/Newscenter/Aus der zweiten Liga zum MVP-Kandidaten in der Beletage: Der steile Aufstieg des Jaleen Smith

Kochs NachschlagAus der zweiten Liga zum MVP-Kandidaten in der Beletage: Der steile Aufstieg des Jaleen Smith

26. Februar 2021
Vor zwei Jahren spielte Jaleen Smith noch in der ProA für Heidelberg, nun ist er der wichtigste Mann beim BBL-Vizemeister und aktuellem Tabellenführer Ludwigsburg und Kandidat für die Liga-Auszeichnung zum wertvollsten Spieler der Saison. Wie hat der 26-Jährige das geschafft?

– Stefan Koch

Vor zwei Jahren spielte Jaleen Smith noch in der ProA für Heidelberg, nun ist er der wichtigste Mann beim BBL-Vizemeister und aktuellem Tabellenführer Ludwigsburg und Kandidat für die Liga-Auszeichnung zum wertvollsten Spieler der Saison. Wie hat der 26-Jährige das geschafft?

Ein MVP-Kandidat in der easyCredit BBL, über den es keinen Eintrag bei Wikipedia gibt? Wer die Internetsuchmaschinen mit dem Namen Jaleen Smith füttert, wird erfahren, dass weder im deutschen noch im englischen Teil der „freien Enzyklopädie“ ein Eintrag vorliegt; lediglich in der spanischen Version findet man ein paar Zeilen zum besten Spieler des Tabellenführers MHP RIESEN Ludwigsburg! Der Mann ist so unbekannt, dass er die Videos von den Highlights seiner Karriere auf seinem eigenen Youtube-Kanal veröffentlicht, damit er endlich gesehen wird. Dieser zwei Beispiele sind symptomatisch für die bisherige Wahrnehmung dieses außergewöhnlichen Basketballers. Lange unter dem Radar, aber nun dort aufgetaucht, plötzlich, hell blinkend und stetig steil gehend.

Anfang Februars schrieb ich einen Nachschlag über Trae Bell-Haynes von den HAKRO Merlins Crailsheim, der ebenfalls im MVP-Rennen ganz vorne mitläuft, nun ist Jaleen Smith an der Reihe, der mit seinem großartigen Allroundspiel Ludwigsburg an die Ligaspitze gehievt hat. Beide haben gemeinsam, dass ihre Teams erfolgreich spielen, was eine wichtige Voraussetzung ist, um für die höchste individuelle Auszeichnung in Betracht gezogen zu werden. Aber zusätzlich übertreffen ihre Mannschaften auch noch deutlich die Erwartungen, was dem Faktor des Teamerfolgs argumentativ noch einen zusätzlichen Push verleiht.

Zur Person:

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.

Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.

Der Weg in die easyCredit BBL:

Ich habe es schon angedeutet: Jaleen Smith stand lange Zeit eher im Schatten als im Rampenlicht. Die University of New Hampshire, für die er vier Jahre lang spielte, ist keine Bildungseinrichtung, die für ihr Basketballprogramm bekannt ist (hier einige Highlights aus seiner abschließenden Saison 2016/17). Seine erste Station in Deutschland war die ProA in Heidelberg. Nach einem durchwachsenen ersten Jahr spielte er ein besseres zweites (Highlights) und machte so John Patrick auf sich aufmerksam.

In seiner ersten BBL-Saison gewann der 1,93 Meter große Guard dann mit den Barockstädtern überraschend die Vizemeisterschaft. Obwohl er über 30 Minuten pro Partie auf dem Parkett stand und vor allem beim Final-Turnier große Momente hatte (Highlights), rückten vier seiner Mannschaftskameraden stärker in den Vordergrund als Smith. Khadeen Carrington wurde phasenweise als MVP gehandelt, Marcos Knight spielte ein bärenstarkes Finalturnier in München, Thomas Wimbush war mit seinen spektakulären Aktionen Dauergast in den Highlights und Nick Weiler-Babb erhielt viel Anerkennung für seine bemerkenswerte Rookie-Saison.

Angesichts der starken Leistungen war dieses Quartett für Ludwigsburg nicht zu halten. Aber auch Jaleen Smith flatterte ein hochinteressantes Angebot aus Italien ins Haus – so wird es zumindest kolportiert. Virtus Bologna war im Sommer angeblich an dem Amerikaner interessiert. Aber John Patrick wollte ihn unbedingt behalten und versprach ihm die zentrale Rolle im Team. Smith stimmte zu und dankt es seinem Coach seitdem mit überragenden Leistungen.

Die unfassbaren Zahlen:

Zahlen sind nicht alles. Sie spiegeln nicht wider, mit welchem Einsatz und Fokus der „Ananaskopf“ jede Sequenz eines Spiels bestreitet (im Hotel-Interview oben rechts mit Sascha Bandermann erklärt Smith seinen Spitznamen). Aber wenn ein Akteur zusätzlich zu diesen Tugenden noch solche Werte auflegt, kommt man nicht umhin die drei Buchstaben MVP in die Diskussion zu werfen. Jaleen Smith führt Ludwigsburg in den vier wichtigsten Statistiken an: Mit 17,6 Punkten ist er zugleich der viertbeste Scorer der Liga. Seine 6,3 Rebounds bringen ihn auf den sechsten Platz, wobei vor ihm nur Innenspieler rangieren, die mindestens zehn Zentimeter größer sind als er. Mit 5,3 Assists landet er auf der vierten Position. Bemerkenswert ist hier, dass Smith nur 1,3 Ballverluste unterlaufen, woraus ein exzellentes Assist-Turnover-Ratio von 4,1:1 resultiert! Die 1,7 Ballgewinne sind der drittbeste Wert der Liga.

Wenn das nicht alles für einen kompletten Basketballer spricht! Jaleen Smith ist quasi der Luke Sikma der Außenpositionen. Aber noch nicht genug der Zahlen, zwei hab‘ ich noch: Der Ludwigburger Guard ist auch noch der Marathonmann der Liga, absolviert mehr als 34 Minuten pro Spiel! Zudem ist er nach Per Günther (98,5 Prozent!) mit 92,9 Prozent von der Linie (52/56) der zweitsicherste Freiwerfer unter den Spielern, die mindestens drei Mal pro Partie an die Linie gehen.

Kochs Nachschlag:

Das Ludwigsburger Schiff blieb auch auf Kurs, nachdem Elias Harris von Bord gegangen war. Das ist auch ein Verdienst des Steuermanns Smith, der immer wieder mit gutem Beispiel vorangeht. Mit Jamel McLean haben die MHP RIESEN einen ehemaligen Liga-MVP nachverpflichtet, der sicher mediale und öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken und von Jaleen Smith abziehen wird. Aber diese Situation kennt Smith zur Genüge. Es sollte ihn nicht davon abhalten, seinen steilen Aufstieg fortzusetzen. Am Ende dieser Saison könnte als vorläufiger Höhepunkt die MVP-Auszeichnung stehen. Denn einen Trumpf von ihm habe ich noch gar nicht erwähnt, seine Verteidigung! Jaleen Smith verfügt über eine herausragende Physis, die er defensiv immer wieder gewinnbringend einsetzt. Da der MVP dem wertvollsten Akteur und nicht automatisch dem besten Offensivspieler zugesprochen werden sollte, könnte die Verteidigung am Ende das Zünglein an der Waage zugunsten von Jaleen Smith sein.