– Stefan Koch
Am morgigen Dienstag startet die easyCredit BBL in die neue Spielzeit. Entsprechend ist es höchste Zeit für den zweiten Teil meiner Saisonvorschau, in der wir unter anderem auf den Nachwuchs, mögliche Überraschungsteams und die Gewinner und Verlierer des Transfer-Sommers schauen:
Der Einfluss des Weltmeisters
Spanien ist das Maß aller Dinge im (europäischen) Basketball. In diesem Jahr gewannen die Iberer die Europameistertitel bei der U16 und der U18. Lediglich bei der U20 wurde es „nur“ der Vizetitel nach der Finalniederlage gegen Gastgeber Israel. Die spanischen Herren krönten den Sommer mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft in China. Die Titel im Jugendbereich sind letztendlich nur ein Nebenprodukt, denn die Spanier bewerten in diesen Altersklassen die Spielerentwicklung höher als Titel.
Mit Aíto Garcia Reneses und Pedro Calles gewannen zuletzt zwei spanische Trainer die Auszeichnung „Coach of the Year“ bei uns. Dafür waren natürlich die Erfolge Grundlage, aber es darf auch bemerkt werden, dass beide Basketballlehrer der Spielerentwicklung eine große Bedeutung zuweisen und einen Stil pflegen, der sich vom Mainstream absetzt. Diese Herren verdienen weiter viel Aufmerksamkeit. Aber 2019/2020 werden auch zwei spanische Spieler in der Liga aktiv sein. Die heißen zwar nicht Gasol, Rubio oder Hernangomez, aber der von Vechta ausgeliehene Sergi Garcia (Video rechts) war immerhin U16- und U20-Europameister. Der Bamberger Neuzugang Aleix Font ist ebenfalls Guard und mit 21 noch ein Jahr jünger als Garcia. Auch er ist eine Leihgabe und gilt als großes Talent. Die Rechte von Garcia und Font liegen bei den Euroleagueteams Valencia und Barcelona. Von einem Trend zu sprechen, wäre zu früh, auch wenn ALBA schon 2017 mit dem Serben Stefan Peno ein Leihmodell mit dem FC Barcelona praktizierte.
Bester deutscher Nachwuchsspieler U22
In der vergangenen Spielzeit ging diese Auszeichnung an den erst 17-jährigen Franz Wagner, der als „Titelverteidiger“ aber ausfällt, weil er sich für einen Wechsel an die University of Michigan entschieden hat. Kommt sein Nachfolger auch aus Berlin, schafft Jonas Mattiseck den großen Durchbruch? Oder ist es mit Bennet Hundt ein Ex-Albatros, der jetzt in Göttingen seine Bewährungschance erhält? Kostja Mushidi (Braunschweig) könnte genauso ein Kandidat sein wie Joshua Obiesie (Würzburg) oder Louis Olinde (Bamberg). Vielleicht startet aber auch Ariel Hukporti (Ludwigsburg) durch. Mein Favorit heißt Philipp Herkenhoff (Video rechts), weil er sich bereits in den Playoffs der vergangenen Saison als echter Leistungsträger in Vechta etablieren konnte und er dieses Selbstbewusstsein mit in die neue Saison nimmt, in der seine Rolle sicherlich nicht kleiner werden dürfte.
Für einen genaueren Blick auf unseren Nachwuchs empfehle ich den Artikel von Kollege Manuel Baraniak, der hier in seinem Scouting Report zwölf Nachwuchsspieler im wahrsten Sinne des Wortes unter die Lupe nimmt.
Gewinner und Verlierer des Transfersommers
So viel vorab: Die Gewinner und Verlierer des Transfersommers werden sich erst im Laufe der Spielzeit herauskristallisieren. Aktuell kann man nur die Qualität der Kader erahnen, aber nicht die Güte der Mannschaften bestimmen. In diesem Zusammenhang habe ich bewusst die Begriffe Kader und Mannschaft gewählt, denn aus einem guten Kader muss nicht zwangsläufig ein gutes Team erwachsen.
Die Bayern haben weiter aufgerüstet mit Greg Monroe (Video rechts) an der Spitze. Das ist ein bärenstarkes Aufgebot, aber gibt es darin auch einen echten Floor General auf Euroleague-Niveau? Bonn hat mit Joshiko Saibou und Benjamin Lischka zwei deutsche Qualitätsspieler hinzubekommen. Das sieht erst einmal sehr gut aus, aber dafür gehen die Rheinländer genauso wie die FRAPORT SKYLINERS nur mit fünf Ausländern ins Rennen.
Schaut man auf die verbesserte Tiefe heißt der Gewinner womöglich Oldenburg. Angesichts der Eurocup-Teilnahme mussten die Verantwortlichen an der Hunte personell zulegen. Mit dem Deutsch-Amerikaner Kevin McClain (Video rechts) und Robin Amaize ist aus einer Achtmann- eine Zehnmannrotation geworden, was sich auch in der Liga auszahlen sollte. Allerdings muss sich zeigen, ob die Schützlinge von Mladen Drijencic den Verlust von MVP Will Cummings auffangen können.
Die JobStairs GIESSEN 46ers sind auf den ersten Blick ein Verlierer der Personalrochaden. Mit Benjamin Lischka und Mahir Agva verloren die Hessen ihre nach John Bryant wichtigsten deutschen Spieler, ohne Ersatz dafür verpflichten zu können. Es scheint eher unwahrscheinlich, dass die Youngster Bjarne Kraushaar und Alen Pjanic schon in der Lage sein werden, diese Lücken zu schließen. Aber auch RASTA Vechta musste erheblich bluten und verlor sein Startrio um T.J. Bray, Austin Hollins und Seth Hinrichs. Vor allem in der Offensive werden die Marley-Jünger diesen Verlust nicht so einfach verkraften können.
Gibt es ein wieder eine Sensationsteam wie Vechta?
Ich erwarte nicht, dass ein Underdog wie Vechta erneut auf den ersten vier Plätzen einkommt. Auf der anderen Seite: Ein Überraschungsteam ist ja genau deshalb ein Überraschungsteam, weil es alle überrascht. Könnten die Vechtaer, nachdem sie in der vergangenen Saison ein Sensationsteam waren, in der kommenden zumindest ein Überraschungsteam werden? Meine Antwort lautet „ja“. Sollte Vechta erneut auch nur in Reichweite der Playoffs kommen, wäre dies eine Überraschung. Pedro Calles‘ Defensivsystem basiert in einem hohen Maße auf Willen und Einsatz. Aber der schon angesprochene Verlust der drei offensiven Säulen wiegt schwer. Dennoch traue ich Vechta wieder ein gutes Jahr zu, wenn diese Mannschaft mental die gleiche Klasse mitbringt wie ihr Vorgänger.
2019/2020 sind die Hamburg Towers der einzige Neuling in der Liga. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass die Jungs von der Waterkant positiv überraschen. Um das ganze Projekt herum herrscht eine Aufbruchstimmung, mit Heiko Schaffartzik landete man kurz vor Saisonstart noch einen Transfercoup und mit Mike Taylor haben die Hamburger einen unfassbar enthusiastischen Head Coach. Der 47-Jährige dürfte nach dem WM-Erfolg mit Polen (Viertelfinale!) mit zusätzlichem Rückenwind in die Saison gehen.
Die Favoriten
Die einfachste Kategorie von allen! Natürlich sind die Bayern mit ihrem Ausnahmekader wieder der Topfavorit. Mit diesen Spielern können die Münchner auf jeden Fall die Playoffs in der Euroleague erreichen. Erster Herausforderer sind erneut die Berliner. Die Hauptstädter sind das Team, das dem Titelverteidiger am ehesten gefährlich werden könnte, aber nur wenn sie es schaffen, eine ergebnisorientierte Konsequenz in ihrem Spiel zu etablieren.
Kochs Nachschlag
Wo könnte besonders viel fürs Auge geboten werden? In Oldenburg, weil dort zwei Herren spielen, die über ein besonders gutes Auge verfügen. Rasid Mahalbasic ist ein herausragender Passgeber auf der Centerposition. Mit Braydon Hobbs steht ihm jetzt ein Pass-First-Pointguard zur Seite, der kreative und spektakuläre Anspiele zelebriert. Da dürfte das ein oder andere Schmankerl sicher sein. Diesen und alle anderen Gedanken aus dieser und der ersten Kolumne zum Saisonstart zusammengefasst: Es gibt wieder viele Gründe, sich auf die neue Saison zu freuen!
Zur Person
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.