Ich ziehe meinen Hut vor der deutschen Basketballnationalmannschaft und ihrem Trainerstab! Was auch der letzte Satz des letzten Nachschlags zur EM 2025 hätte sein können, gehört für mich schon an den Anfang. Deutschland ist Europameister, legt vor allem offensiv absurd gute Zahlen auf und verkraftet dank eines großartig einspringenden Alan Ibrahimagic auch den krankheitsbedingten (Teil-)Ausfall von Bundestrainer Alex Mumbru. Das sind Aussagen, die in dieser Form auch schon vor dem Finale hätten getroffen werden können. Aber dieses Endspiel lässt den Triumph noch eine Spur großartiger erscheinen.
Der Start der DBB-Auswahl ins Endspiel glich einem Albtraum. Trotz ungewöhnlichem Cross-Matching (Isaac Bonga gegen Shane Larkin, Andreas Obst gegen Cedi Osman und Franz Wagner gegen Ercan Osmani) ging die Türkei schnell mit 13:2 in Führung, wobei die Deutschen genau die Körbe kassierten, die die türkische Offensive ausmachen (drei Dreier, ein Drive von Larkin und ein 1-1 von Alperen Sengün). Dazu war die Pick-and-Roll-Verteidigung der Ataman-Schützlinge genauso effektiv wie in der Vorschlussrundenpartie gegen Griechenland. Aber die Deutschen schüttelten sich, kamen zurück und gewannen eine Begegnung, in der beide Teams im neunten Turnierspiel bezüglich Qualität, Tempo und Intensität begeisterten. Es war ein großartiges Finale der beiden besten Mannschaften!
MVP Dennis Schröder
2023 wurde Deutschland Weltmeister, und der MVP hieß Dennis Schröder. Zwei Jahre später gewinnt die DBB-Auswahl den EM-Titel, und wieder wird der Kapitän zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt. Nachdem wir bereits bei der WM einen gereiften Schröder wahrnehmen konnten, dürfen wir jetzt konstatieren, dass er sich noch einmal weiterentwickelt hat. In anderen Worten: Nie war er wertvoller als heute!
Den letzten Beweis lieferte der Mann, der am Tag nach dem Titelgewinn seinen 32. Geburtstag feierte, im Finale. In der ersten Halbzeit verteidigten ihn die Türken im Pick and Roll so aggressiv, dass es für ihn persönlich kaum Entfaltungsmöglichkeiten gab. Vor ein paar Jahren hätte er wahrscheinlich eigene (schwierige) Abschlüsse forciert. Obwohl ihm vor der Pause keine Chancen gegeben wurden, seinen Rhythmus zu finden, erzielte er in der zweiten Halbzeit 14 Zähler und stellte mit zwölf Assists einen Rekord für ein EM-Finale auf. Den MVP-Titel sicherte er sich aber mit der Art und Weise, wie er das Spiel am Ende entschied. Der Linkskorbleger, bei dem er den Ball weit oben das Brett küssen ließ, bevor er durch den Ring tropfte, und der 1-1-Halbdistanzwurf über Osmanis Fingerspitzen hinweg waren per se Weltklasse, angesichts der Bedeutung des Moments aber unfassbar. Die letzten Freiwürfe waren dann der Moment, an dem alle Beteiligten realisieren durften, dass dieser Spieler erneut Geschichte geschrieben hatte.
Schröder in die Hall of Fame?
Kurz zu der aufgekommenen Frage, ob Dennis Schröder sich damit als zweiter deutscher Spieler einen Platz in der Naismith Memorial Basketball Hall of Fame gesichert hat: Es gibt bei der Hall of Fame den Ausschuss „The International Game“ mit sieben Mitgliedern, Experten für den Weltbasketball, die seit 2011 jedes Jahr eine Person direkt in die Ruhmeshalle des Basketballs berufen können (siehe hier). Bisher waren darunter FIBA-Legenden wie Oscar Schmidt, Nikos Galis, Arvydas Sabonis, Sarunas Marciulionis, Dino Radja, Vlade Divac, Toni Kukoc, Radivoj Korac und Pau Gasol. Ich sehe keinen Grund, warum Schröder nicht in diesen Kreis aufgenommen werden sollte.
Das großartige Team
Der Kapitän stellte nach dem Spiel klar, dass aus seiner Sicht Franz Wagner Co-MVP hätte sein müssen. Die beiden NBA-Stars bildeten ein kongeniales Duo, das beste der Titelkämpfe. Aber auch sie konnten diesen Titel nicht allein gewinnen, und sie haben ihn auch nicht allein gewonnen. Auch wenn ich jetzt nicht jeden Spieler namentlich erwähne, haben alle zum Erfolg dieser Mannschaft beigetragen. Isaac Bonga spielte bärenstark, wurde als MVP des Endspiels und als bester Verteidiger des Turniers ausgezeichnet. Wenn es stimmt, dass seine NBA-Ausstiegsoption für die kommende Saison verstrichen ist, kann sich Partizan Belgrad glücklich schätzen.
Tristan da Silva überzeugte in seinem ersten Nationalmannschaftssommer auf ganzer Linie. Maodo Lo tanzte durch die gegnerischen Abwehrreihen und traf den Dreier hochprozentig. Andi Obst erfreute sich besonderer Aufmerksamkeit der Kontrahenten, traf aber trotzdem schwierige Würfe und schaffte gleichzeitig Räume für seine Mitspieler. Die schlachtenerprobten kleinen Fünfer Daniel Theis und Johannes Thiemann verrichteten an beiden Enden des Feldes gewohnt zuverlässig ihre Arbeit am Brett und streuten im Finale auch noch wichtige Treffer von der Dreipunktelinie ein.
Der Schlauch der neun Spiele
Es gab schon nach den überragenden Vorstellungen der Vorrunde und besonders nach den schwierigen Partien gegen Portugal und Slowenien die Diskussion, ob die deutsche Mannschaft ihren Leistungshöhepunkt zu früh erreicht hätte. Ich habe das zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen können. Was wäre denn losgewesen, wenn die deutsche Mannschaft in der Vorrunde ausgeschieden wäre, weil die Periodisierung auf ein späteres Hoch ausgelegt war?
Wie die deutsche Mannschaft den Schlauch der neun Spiele gemeistert hat, verdient höchsten Respekt. Die Tatsache, dass sie über alle neun Spiele das letzte Viertel im Schnitt mit mehr als zehn Punkten Differenz gewinnen konnte, ist beeindruckend. Weitere Zahlen gefällig? 99,9 Punkte pro Partie! Bestes Offensiv-Rating (132,6 Punkte pro 100 Ballbesitze), drittbestes Defensiv-Rating (100,9), was das klar beste Net-Rating von 31,7 nach sich zieht. Bei allen Wurfquoten (Feldwürfe gesamt, Zweier, Dreier, Freiwürfe) lag Deutschland auf dem zweiten Platz. Genug Zahlenwerk, aber es belegt, dass die Jungs ein Turnier für die Ewigkeit gespielt haben!
Kochs Nachschlag
Die DBB-Auswahl hat es als viertes Land geschafft, gleichzeitig Welt- und Europameister zu sein (neben der Sowjetunion, Jugoslawien und Spanien). Mit diesen großartigen Erfolgen hat sie dafür gesorgt, dass Basketball in Deutschland einen höheren Stellenwert hat als je zuvor. Das merkt man an einer steigenden Zahl von Hardcore-Fans und einem größeren Interesse der grundsätzlich Sportbegeisterten, die ihr Portfolio mit dem einzig wahren Hallensport erweitern. In diesem Zusammenhang muss auch der Besuch von Frank-Walter Steinmeier in Riga Erwähnung finden. Der Bundespräsident zeigte sich beim Finale nicht nur als Fan, sondern auch als gut informierter Gesprächspartner. Der Gewinn der Weltmeisterschaft legte im Kontext der öffentlichen Wahrnehmung und Anerkennung den Grundstein. Diese großartige EM war der nächste Schritt. Man darf gespannt sein, ob beim nächsten großen Turnier auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten einsteigen.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital, DAZN und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Im Podcast "Talkin‘ Basketball", der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist, sprechen er und Oliver Dütschke regelmäßig mit Protagonisten aus der deutschen Basketballszene. Seine Kolumne zum BBL-Geschehen findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag".