Wahrscheinlich erwarten die meisten von Euch von mir, dass ich mich in diesem Nachschlag mit den Auseinandersetzungen von Dennis Schröder mit Daniel Theis und Gordon Herbert vor und während der ersten Auszeit im Spiel gegen Slowenien befasse.
Glaubt mir, dieser Vorfall wurde in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung komplett überbewertet. Ich habe es selbst oft genug erlebt, wie die Kommunikation in Stresssituationen entgleisen kann. Das gehört im Leistungssport dazu, und der Auftritt der Mannschaft in den letzten drei Vierteln beweist auch, dass sie das unbeschadet weggesteckt hat.
Stattdessen möchte ich die individuellen Leistungen in der Vor- und Zwischenrunde bewerten. Zuerst befasse ich mich mit der Bank, die völlig zurecht als eine der größten deutschen Stärken eingestuft wird.
Maodo Lo
Der Guard war das größte Fragezeichen vor Turnierbeginn, weil er als einziger Leistungsträger in der Vorbereitung seinen Rhythmus nicht gefunden hatte. Die Nullnummer im Auftaktspiel gegen Japan unterstrich die Zweifel an seiner Form. Danach platzte aber der Knoten mit 20 Punkte gegen Australien (Highlights unten). Seitdem sind das Selbstvertrauen und die Leichtigkeit zurück. Gegen Georgien fielen sogar alle sechs Dreipunktewürfe. Der 30-Jährige kämpft zwar immer noch um Konstanz, aber er findet zurück in seine Rolle als wichtiger Scorer und Vorbereiter.
Justus Hollatz
Die Verletzung von Franz Wagner hat den gebürtigen Hamburger in die Rotation gespült. Dabei wusste der 22-Jährige mit seinem Engagement und seinem umsichtigen Spiel zu gefallen. Lediglich bei seinen Drives zum Korb zeigte er Schwächen, wenn es darum ging zu finishen. So gesehen sind diese Weltmeisterschaften ein guter Test für ihn. Denn in der kommenden Spielzeit muss er sich bei Anadolu Efes Istanbul erstmals auf Euroleague-Niveau beweisen. Hollatz übernahm phasenweise den Ballvortrag, was Schröder und Lo Luft und Scoring-Optionen verschaffen kann.
David Krämer
Unmittelbar vor dem letzten Cut meldete der Buschfunk, dass wahrscheinlich Leon Kratzer als zwölfter Mann mit zur WM fahren würde. Aber der Bundestrainer entschied sich für David Krämer. Er ist der einzige Spieler, der trotz der Wagner-Verletzung erst auf das Parkett darf, wenn die Messe gelesen ist. Aber in diesen Momenten zeigt er, warum Gordon Herbert eine gute Wahl getroffen hat. Der 26-Jährige ist sofort auf Betriebstemperatur und strahlt Korbgefahr aus. Weil er seinen Dreier auch kalt verwandeln kann, ist er immer eine Option für besondere Situationen.
Niels Giffey
Mit Isaac Bonga im Team hat sich die Rolle des Routiniers im Vergleich zur EuroBasket verändert. Sie ist kleiner geworden, was für viele Spieler in Giffeys Alter (32) ein Problem gewesen wäre. Aber die unbedingte Rollenakzeptanz ist eine seiner Stärken, was dazu führt, dass er auch in diesem Turnier unaufgeregt und zuverlässig seine Arbeit für die Mannschaft verrichtet. Die Partie gegen Slowenien war bislang seine beste im Turnier. Der gebürtige Berliner könnte bei einer Rückkehr von Franz Wagner wieder aus der Rotation fallen, hat aber bewiesen, dass auf ihn immer Verlass ist – selbst, wenn die Uhr runtertickt:
Johannes Thiemann
Der Power Forward ist der einzige Bankspieler, der mehr Minuten erhält als der Starter auf seiner Position (Johannes Voigtmann). Für mich ist der Albatros der emotionale Anker der zweiten Fünf, die nun schon mehrmals einen Umschwung eingeleitet hat. J.T. hat unglaubliche zehn seiner elf Würfe aus dem Zweierbereich versenkt und kann zudem wie alle deutschen Big Men das Feld weit machen (4/10 Dreier). Thiemann hat sich bislang perfekt in den offensiven Rhythmus eingefügt und benötigt nur 4,2 Feldwurfversuche für 7,2 Punkte. Außerdem hat der 29-Jährige bei diesem Turnier auch defensiv Akzente gesetzt.
Moritz Wagner
Auch Moe Wagner glänzt mit exzellenten Zahlen. Er ist der zweitbeste Scorer nach Schröder und der beste Rebounder im Team. Aber mir hat er zu Turnierbeginn nicht wirklich gefallen. Nach seinem statistisch besten Spiel gegen Japan (25 Punkte, neun Rebounds, Highlights unten), in dem er aus meiner Sicht aber viel zu sehr auf sein Scoring fixiert war, folgte ein mäßiger Auftritt gegen Australien. Aber in den letzten drei Begegnungen hat er eine bessere Balance gefunden. Der 26-Jährige hat seine Brechstangenaktionen deutlich reduziert, leitet den Ball besser weiter und findet seine Optionen verstärkt aus dem Teamplay.
Kochs Nachschlag
Was wünsche ich mir von den Jungs von der Bank, die der Mannschaft schon so viel gegeben haben, noch zusätzlich? Pick and roll von Justus Hollatz mit Moritz Wagner, weil ich glaube, dass sie das Zeug zu einem effektiven Tandem haben, und mindestens 50 Prozent Dreierquote von Niels Giffey, weil er als Werfer über dieses Potenzial verfügt.
Info: Im zweiten Teil dieser Kolumne wird sich den Zwischenzeugnissen der sechs Starter (Franz und Isaac) gewidmet.
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.