Zwei Partien sind in der Finalserie absolviert, wir haben zwei Sieger erlebt und entsprechend noch keine klare Tendenz erkennen können. Die Ulmer klauten dem Favoriten beim 79:73-Sieg in der Auftaktbegegnung den Heimvorteil, aber dann kam Bonn im zweiten Spiel eindrucksvoll zurück und wies die Schwaben mit einem 104:75-Kantersieg in die Schranken. Mit einem Stand von 1:1 in die dritte Partie zu gehen, können die Uuulmer als Erfolg werten. Sie haben auf jeden Fall ein wichtiges Etappenziel erreicht und können mit zwei Heimsiegen die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte feiern. Aber das wird alles andere als ein Spaziergang, denn die Schützlinge von Tuomas Iisalo sind auch auswärts eine absolute Macht. Die letzte Niederlage auf fremdem Terrain kassierten sie vor gut fünf Monaten! Hektik, Emotionalität, Intensität und Aggressivität werden auch die Duelle an der Donau prägen. Ich möchte euch meine wichtigsten Erkenntnisse aus den ersten beiden Spielen aufzeigen, damit ihr sie für den weiteren Verlauf der Serie im Auge behalten könnt.
Crossmatching
Das Crossmatching war schon in meiner Vorschau auf diese Finalserie ein wichtiges Thema. Dabei lag der Fokus auf den Matchups gegen die Point Guards. Aber gleich zu Beginn warteten die Bonner auch mit Crossmatching im Frontcourt auf, indem sie Finn Delany gegen den athletischen Karim Jallow stellten. Als Konsequenz verteidigte Shooting Guard Jeremy Morgan gegen Power Forward Robin Christen. Aber zurück zum Crossmatching gegen die Spielmacher. In der zweiten Partie konterten es die Bonner mit einer interessanten Variante: Sie setzten einen hohen Guard-to-Guard-Screen am Ball (zumeist Seba Herrera für TJ Shorts) und stellten die Ulmer damit vor Probleme. Im Falle eines Switches verliert man als Defense den direkten Wunschverteidiger (zumeist Karim Jallow) gegen Shorts. Stattdessen entschieden die Ulmer sich meistens für eine Hedge-Verteidigung, gegen die Shorts den Ball mit einem schnellen Pass zum Blocksteller beförderte.
Das eröffnete den Bonnern verschiedene Möglichkeiten, die auch unten im Video dargestellt sind: Entweder kam ein guter (und vor allem schneller) Werfer wie Herrera aus dem Pick und Pop zum freien Dreier (erste Szene). Stellte statt Herrera jedoch Tyson Ward den Block, präferierte dieser als Blocksteller das Short Roll zur Freiwurflinie, von wo aus er den Ball unter den Korb (zweite Szene, in dieser Sequenz war das Anspiel auf Leon Kratzer allerdings schlecht getimt) oder in die Ecke (dritte Szene, Delany vergibt allerdings den Dreier) passen kann. Dieses Weiterleiten in die Ecke ist auch eine Option für Herrera aus dem Pick and Pop, wenn der nächste Verteidiger der Ulmer von der Weakside zu ihm rotiert.
Weitere Erkenntnisse
Das Bonner Rebounding bleibt weiterhin überragend. Seit dem Halbfinale sichern sich die Rheinländer im Schnitt 14 Abpraller mehr als ihre Kontrahenten aus Ludwigsburg und Ulm (47,4:33,4). In der ersten Partie wurde aber offensichtlich, dass der Hauptrundenprimus besonders in „großen Spielen“ stark von Shorts abhängig ist. Dieser Reflex, dass der MVP in solchen Begegnungen noch stärker die Offensive an sich reißt, war schon in der Vergangenheit erkennbar. Im zweiten Spiel rückten die Bonner das zurecht und brachten fünf Spieler in Double Figures, wobei ausgerechnet Finn Delany nach einer Nullnummer in der ersten Partie mit 23 Punkten zum Topscorer avancierte. Auch defensiv legten die Bonner zu, die Ausführung der defensiven Rotationen war deutlich genauer und härter. Nur Karim Jallow (17) punktete bei Ulm zweistellig, während andere Leistungsträger mit Bruno Caboclo an der Spitze unter ihren Möglichkeiten blieben. Nach einem fokussierten und resilienten Auftritt zum Finalstart, der an die Mentalität der Berlin- und München-Serie erinnerte, resignierten die Ulmer im zweiten Spiel angesichts des Bonner Dauerdrucks.
Die Fragen vor den nächsten Partien
Werden wir das auch in Ulm erleben? Nein, denn so wie Tuomas Iisalo seine Mannschaft nach dem ersten Spiel bei der Ehre gepackt hat, wird Anton Gavel jetzt gegensteuern. Dazu werden es die Ulmer Fans durch ihre Unterstützung zu verhindern wissen.
Werden wir einen anderen Bruno Caboclo erleben? Vielleicht ja, vielleicht nein. Der Ulmer Center hat bislang in dieser Serie so gut wie nicht stattgefunden: 6,0 Punkte und 2,0 Rebounds im Schnitt für einen Effektivitätswert von 4,5. Als Vergleich: gegen München waren es 23,3, gegen Berlin 20,0. Der Brasilianer muss das physische Bonner Spiel annehmen und dagegenhalten. In den ersten beiden Finalspielen war er viel zu soft.
Mit welcher Mannschaft wird Bonn antreten? Der Verlust von Karsten Tadda ist schon eine erhebliche Schwächung. Da Michael Kessens aufgrund seiner Sperre ebenfalls nicht zurückkehrt, ist die Rotation auf acht Spieler geschrumpft. Collin Malcolm könnte als ausländischer Spieler nicht für Kessens in die Mannschaft rücken, wohl aber für Javontae Hawkins, der im zweiten Spiel angeschlagen vom Parkett musste. Übrigens: Florian Koch, der gebürtige Bonner und frühere Baskets-Spieler, absolvierte diese Saison beim Bonner Farmteam in Rhöndorf und dürfte als deutscher Spieler theoretisch eingesetzt werden.
Kochs Nachschlag
Eine zusätzliche Widrigkeit wie die Sperre von Kessens kann eine Mannschaft noch enger zusammenschweißen. Deshalb erwarte ich Bonn mit einem ganz starken Mindset. Die Ulmer haben sich durch einen Auswärtssieg den Heimvorteil gesichert, aber er kann nur dann zum Titel führen, wenn Caboclo aus dem Quark kommt.
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.