– Stefan Koch
Vier Teams, zwei Spiele und auch beim zweiten Anlauf auf das Pokalwochenende gibt es jede Menge taktische Möglichkeiten. Auf was würde ich mich bei den Bayern und den Albatrossen fokussieren? Und viel wichtiger: Welche Stärken könnten die Außenseiter Ulm und Göttingen ins Spiel bringen?
Die Pandemie beschert uns noch einmal ein eigentlich ad-acta-gelegtes Format. Nachdem die Corona-Fälle bei der BG Göttingen zur Absage der zunächst für den 17. und 18. April geplanten Veranstaltung führten, wird der Sieger des MagentaSport BBL Pokals 2021 am kommenden Wochenende in einem Top Four ermittelt. Zuvor gab es bereits vier Viererturniere, die im Gegensatz zum großen Abschlussevent aber nicht mit Semifinale und Finale, sondern im Modus jeder gegen jeden ausgespielt wurden. Nun treffen sich die Qualifikanten zum Showdown in München: BG Göttingen – ALBA BERLIN und ratiopharm ulm – FC Bayern München lauten die Halbfinalpartien. Wie könnten es die Teams gegen den jeweiligen Konkurrenten taktisch angehen?
BG Göttingen
Die Veilchen verfügen nur über wenig Scoring in der Zone, aber über eine ganze Reihe gefährlicher Dreipunktewerfer. In den meisten Spielen, die sie gewinnen konnten, warfen die Göttinger viel und hochprozentig von außen. Deshalb kann der offensive Ansatz nur lauten: Grünes Licht für die Werfer Deishuan Booker, Luke Nelson, Rihards Lomazs, Aubrey Dawkins und Mathis Mönninghoff. Vielleicht werden es dann wieder unglaubliche zwölf Treffer in einem Viertel von jenseits 6,75 Meter wie am Sonntag gegen Bayreuth. Die BG muss schnell spielen und auch Dreier aus dem Umschaltspiel nehmen. Das birgt Risiken, aber die muss ein Außenseiter eingehen, um den Favoriten ins Wanken zu bringen. Für den Halbfeldangriff wäre viel Pick and Roll mit Tai Odiase und drei Werfern, die das Feld weit machen, meine bevorzugte Option. Defensiv wäre es hilfreich, wenn Kapitän Akeem Vargas Marcus Eriksson durch die Blocks folgen und Nelson Weidemann mit aggressiver Verteidigung dem Berliner Spielaufbau etwas Timing nehmen könnte.
ALBA BERLIN
Die Göttinger sind beim Scoring in erster Linie auf ihre Guards angewiesen, denen aber nicht den Ruf vorausseilt, sich übermäßig am defensiven Ende zu engagieren. Genau dort sollten die Berliner sie arbeiten lassen. Das dürfte zu Punkten und/oder Fouls führen und obendrein einen Substanzverlust nach sich ziehen. Der Titelverteidiger postet gerne seine Außenspieler auf. Dies wäre eine Möglichkeit, um in diese Kerbe zu schlagen. In diesem Zusammenhang können auch Ben Lammers, der in dieser Saison sehr stark aus der Halbdistanz einnetzt, und Johannes Thiemann, der ein besserer Dreierwerfer ist, als es seine 31 Prozent besagen, Tai Odiase (zweitbester Shotblocker der Liga) dafür bestrafen, wenn er als Helfer in der Zone parkt. Sollten die Niedersachsen mit Doubleteams reagieren, wäre dies ein gefundenes Fressen für die Berliner Ballbewegung. Ansonsten sollten die Albatrosse hart zum offensiven Rebound gehen. Das ist einerseits eine ihrer Stärken, und andererseits hat Göttingen in diesem Bereich Probleme.
ratiopharm ulm
Die Schwaben gehen mit neun BBL-Siegen in Serie ins Top Four! Ähnlich wie Göttingen sind sie Außenseiter im Halbfinale, ähnlich wie bei Göttingen ist der Dreier eine wichtige Komponente in ihrem Spiel – und der fiel während der Erfolgsserie herausragend, was lediglich zwei Spiele unter 50 Prozent (47 und 48 Prozent sind aber auch aller Ehren wert) belegen. Aber Ulm ist auf dem Papier näher an München als Göttingen an Berlin und verfügt über mehr Optionen, so dass die Risiken moderater dosiert werden können. Die Bayern sind bekannt dafür, dass sie viel switchen. Für die Mannschaft von Jaka Lakovic wird es wichtig werden, nicht bedingungslos (vermeintliche) Mismatches zu attackieren. Die Ulmer Offense lebt von (Ball-)Bewegung. Diese droht im Falle von zu vielen Isolationen einzuschlafen. Entsprechend geht es darum, einen praktikablen Mix zu finden. Außerdem muss es die Mannschaft schaffen, die Münchner Physis zu matchen. Das gilt insbesondere für das Spiel in der Zone. Hier ist ein fokussierter Dylan Osetkowski unentbehrlich.
FC Bayern München
Die Frage nach der taktischen Ausrichtung ist bei den Bayern eher eine untergeordnete. Zunächst einmal muss geklärt werden, wer spielt. Denn auch ohne den wahrscheinlich verletzt ausfallenden Nick Weiler-Babb stehen noch acht Ausländer im Kader. Grundsätzlich ist dies ein Thema, das über beide Tage betrachtet werden muss. Will man im Falle eines Finaleinzugs am Sonntag frische Kräfte bringen oder lieber das bewährte Winning Team vom Samstag auf das Parkett schicken? Defensiv sollten die Bayern absolut akkurat sein, denn Ulm läuft eine hocheffiziente Offense. Vor allem müssen sie einen Verteidiger finden, der die Kreise des zuletzt herausragenden Troy Caupain einengt. Am anderen Ende des Feldes könnten die Münchner auf Formationen mit zwei echten Bigs setzen, um Vorteile gegen Aric Holman (wenig physisch), Cameron Clark (leicht undersized) und Patrick Heckmann (klar undersized) zu etablieren. Zusätzliche Post-up-Möglichkeiten für Vladimir Lucic und Paul Zipser auf der Drei wären hier mitinbegriffen.
Kochs Nachschlag
Seit 2008 spielt Per Günther in Ulm und ist über die Jahre hinweg das Gesicht des Vereins geworden. Vier Mal stand er mit den Schwaben in einem Top Four, zwei Mal im Finale. Zur Trophäe hat es nie gereicht. In dieser Spielzeit scort der 33Jährige so gut wie seit fünf Jahren nicht mehr. Ich würde gerne einen hochmotivierten Günther dabei beobachten, wie er mit aller Kraft den nächsten Titelanlauf unternimmt und möglicherweise am Ende als Kapitän den Pokal in die Höhe reckt. Doch der Spielmacher ist fraglich, weil er nach seiner Schleimbeutel-OP bislang keine Partie mehr bestritten hat.
Zur Person
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL. Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.