– Stefan Koch
Vergangene Saison im Pokal in der ersten Runde ausgeschieden, in der Liga im Viertelfinale und international Vorletzter geworden, nun ein neuer Trainer, der vieles umgekrempelt hat und aktuell nur Siege einfährt. Warum läuft es für den FC Bayern München diese Saison so gut?
In der vergangenen Saison wurde die Euroleague nach 28 Spieltagen abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der FC Bayern München acht Siege auf seinem Konto und rangierte als Vorletzter. Vor der Partie am Donnerstagabend gegen CSKA Moskau stehen die Münchner auf dem zweiten Platz und konnten in ihren ersten neun Begegnungen sieben Siege verbuchen. Nach dem Duell mit dem amtierenden Euroleague-Champion Moskau empfangen die Bayern am Sonntag mit dem Vizemeister MHP RIESEN Ludwigsburg zudem jene Mannschaft, welche die Münchner beim BBL-Finalturnier in der bayrischen Landeshauptstadt aus dem Wettbewerb kegelte (Video rechts).
Die aktuelle Erfolgsserie der Bayern und diese beiden interessanten Spiele sind Anlass genug, einmal herauszuarbeiten, was die Mannschaft so stark macht. Bislang stimmen nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Leistungen beim FC Bayern, was die Verantwortlichen bezüglich des weiteren Saisonverlaufs optimistisch stimmen darf. Ohne Frage hat der Umschwung ganz viel mit der Arbeit von Andrea Trinchieri zu tun, dem es in kürzester Zeit gelungen ist, dem Team einen Glauben an die eigenen Stärken einzuimpfen.
Mentalität
Nach dem Comeback-Sieg am Dienstag bei Anadolu Efes Istanbul (Video rechts) erklärte der neue Head Coach, dass der unerschütterliche Glaube, das Spiel auch nach einem zweistelligen Rückstand im Schlussviertel noch drehen zu können, der wichtigste Faktor gewesen sei. Dieser Unterschied ist offensichtlich im Vergleich zur Vorsaison, wo die Bayern in einer vergleichbaren Situation vermutlich die weiße Flagge gehisst hätten.
Die neue Münchner Mentalität hat zwei Aspekte. Zum einen, dass es eine Charakterfrage ist, nicht aufzugeben und weiter zu kämpfen. Dies führt dazu, dass man in eine Position kommt, aus der heraus man ein Spiel gewinnen kann. Für den Sieg selbst bedarf es dann noch eines guten Entscheidungsverhaltens gepaart mit Nervenstärke. Die Bayern haben all diese Tugenden in ihren Euroleague-Auftritten schon unter Beweis gestellt. Für starke Schlussviertel werden natürlich auch Frische und Kraft benötigt. Aber der Kader ist extrem tief aufgestellt, wodurch zum Beispiel Vladimir Lucic in den ersten beiden BBL-Begegnungen bereits geschont werden konnte.
Switching
Dass die Bayern gerne switchen ist kein Geheimnis. Mit Leon Radosevic, JaJuan Johnson, Malcolm Thomas und dem in erster Linie als Power Forward eingesetzten Paul Zipser verfügen die Münchner über Bigs, die diese Taktik sehr gut umsetzen können. Lediglich bei Jalen Reynolds müssen ein paar Abstriche gemacht werden. Auf den Außenpositionen ist mit Ausnahme von Zan Sisko kein Akteur kleiner als 1,93 Meter. Das Personal ist also vorhanden, aber mindestens genauso wichtig ist, dass Trinchieri im Bereich der Switching-Strategien ein exzellenter Coach ist. Das gilt sowohl offensiv als auch defensiv. Der Italiener beginnt in der Regel schon in der Vorbereitung das Verhalten in 3-3-Drills zu schulen, so dass seine Spieler diese Situationen besser lesen und lösen können als andere Mannschaften.
Vladimir Lucic
Mit der Entscheidung für Trinchieri haben sich die Bayern von der serbischen Schule abgewandt – diese Aussage habe ich schön häufiger gehört, aber ganz ehrlich: Ich kann damit nichts anfangen. Der beste und wichtigste Spieler der Mannschaft ist Vladimir Lucic (Video rechts), und er repräsentiert diesen Basketballstil vom Scheitel bis zur Sohle. Er selbst sagt, dass er am liebsten so spielt wie er es bei Partizan Belgrad gelernt hat. Am Dienstag gewannen die Münchner ohne eine Glanzvorstellung ihres Leaders in Istanbul, aber ich möchte Zahlen sprechen lassen, um zu verdeutlichen, auf welch herausragendem Niveau der Small Forward bislang agiert hat und was er für die Mannschaft bedeutet. Die folgenden Werte gelten für die ersten acht Euroleague-Begegnungen. Lucic belegte den vierten Platz im Scoring, obwohl er nur 29. in der Nutzungsrate war, was dafür spricht, dass er nichts forciert. Im Klartext: 1,65 Punkte pro Aktion – der Euroleague-Rekord über eine komplette Spielzeit von Shane Larkin aus der Vorsaison liegt bei 1,30 Punkten. Die Bayern lagen mit 0,97 Punkte pro Ballbesitz im Mittelfeld der Königsklasse. Ohne Lucic wäre es mit 0,89 Punkten der schlechteste Wert im Wettbewerb gewesen.
Kochs Nachschlag
Das Projekt FC Bayern München Basketball wird strukturell, finanziell und sportlich weiter wachsen. Die erste Playoff-Teilnahme in der Euroleague ist nur eine Frage der Zeit. Und danach wird dieser ehrgeizige Club das Final Four in Visier nehmen. Die Bayern wollten unbedingt eine zweite Sportart auf Topniveau etablieren, die Euroleague wollte die Münchner unbedingt in ihrem Wettbewerb. Weichenstellungen, die sich offensichtlich für beide Seiten gelohnt haben.
Zur Person
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.