– Stefan Koch
Zum zweiten Mal in dieser Saison heißt das Motto des Nachschlags „Fragenhagel der Fans“. Vielen Dank für eure vielen Kommentare; ich habe mich entschieden, daraus die folgenden fünf Fragen zu beantworten. Bezüglich der Themenkomplexe Meisterschaft und Playoffs habe ich jeweils zwei Fragen zusammengepackt, weil ich denke, dass sie miteinander verknüpft sind und dadurch das Gesamtbild klarer wird.
Das Meisterschaftsrennen:
Was fehlt Berlin, um die Bayern in der Meisterschaft zu entthronen, und wie hat sich die Münchner Spielweise unter Head Coach Oliver Kostic verändert?
Berlin benötigt in einer möglichen Finalserie gegen die Bayern vor allem eines: Gesundheit! Das gilt natürlich für die Münchner genauso, aber bei den Albatrossen gibt es mit Peyton Siva einfach einen extrem anfälligen Schlüsselspieler, der in seinen bislang dreieinhalb Saisons in Berlin wettbewerbsübergreifend 63 von 237 Partien versäumt hat. Das sind 26,6 Prozent! Martin Hermannsson ist in den letzten Wochen immer stärker geworden, aber in einer Finalserie wären beide Guards für die Hauptstädter extrem wichtig. ALBA spielt im Moment besser als München, zeigt vor allem auswärts in der Euroleague mentale Qualitäten, die den Bayern fehl(t)en, und hat bei der Gestaltung der Schlussphase von knappen Spielen dazugelernt.
Die Münchner scheinen hingegen zu stagnieren. Vielleicht gibt der erste Auswärtssieg in der Euroleague außerhalb Deutschlands am Donnerstag in Sankt Petersburg einen Impuls (leider kann ich diese Partie nicht einstufen, da ich an dem Abend in Berlin kommentiert habe). Bislang hat der Deutsche Meister in meinen Augen unter Oliver Kostic keine neue Richtung eingeschlagen. Die Pace hat sich nur unwesentlich erhöht, die Offensive ist nicht um grundlegend neue Optionen erweitert worden und die Transition Defense scheint weiterhin eine Baustelle zu sein. Im Moment machen die Aito-Schützlinge den besseren Eindruck. Aber Vorsicht, schaut in den Kalender: Es ist Ende Februar und nicht Juni!
Der Playoff-Kampf:
Wird Crailsheim in den verbleibenden 13 Spielen den Playoff-Platz halten können, und wie sind nach dem Abgang von Zoran Dragic die Chancen der Ulmer im Kampf um die Playoffs?
Ab dem sechsten Platz wird das Playoff-Rennen so richtig interessant. Die derzeit ersten Fünf der Tabelle (München, Ludwigsburg, Berlin, Crailsheim, Oldenburg) werden aus meiner Sicht die Postseason sehr wahrscheinlich erreichen. Also auch, um die Frage konkret zu beantworten: Crailsheim. Das Team hat sich bereits ein Polster von sechs Punkten erarbeitet, den Ausfall von Quincy Ford kompensiert und über die Erfolge genügend Selbstvertrauen aufgebaut. Es verfügt über eine Spielkultur und eine Identität, Teamchemie, stringentes Coaching und mit Aufbau DeWayne Russell über einen Spieler, der in der Crunchtime übernehmen kann.
Ohne die jüngste Verletzung von Josh Young (Zeigefinger ausgerenkt) hätte ich Vechta von den folgenden Teams die besten Chancen gegeben. Derzeit sehe ich sechs Mannschaften bis zum Tabellenelften Bayreuth, die um die Playoffs spielen. Dazu gehören auch die Ulmer, deren Chancen durch den Weggang von Zoran Dragic sicherlich nicht gestiegen sind. Aber der Slowene war für mich nie ein MVP-Kandidat, wie es teilweise in den Medien behauptet wurde. Er hat gescort, aber seine Teamkameraden nicht besser gemacht und war sogar teilweise mit seiner Mimik und Gestik an der Grenze zum destruktiven Faktor. Sein Nachfolger Archie Goodwin wird die knapp 20 Punkte des Linkshänders nicht matchen können, aber wenn es Jaka Lakovic gelingt, entsprechende Anpassungen vorzunehmen, könnte es trotzdem für Platz sieben oder acht reichen.
WEEZY Russell stopft das Ding in die Reuse! pic.twitter.com/WfI2pTM9FT
— HAKRO Merlins Crailsheim (@cr_merlins) September 24, 2019
Kochs Nachschlag:
Wer ist für Dich zum jetzigen Zeitpunkt der Trainer des Jahres?
Als ehemaliger Coach habe ich mir diese Frage passenderweise für den Nachschlag aufgehoben. Tuomas Iisalo ist mein aktueller Favorit. Ja, man kann auch viele gute Argumente für John Patrick finden, der mit Ludwigsburg erst vier Spiele verloren hat und auf einen fantastischen zweiten Platz rangiert. Genauso beachtlich ist, was der „Titelverteidiger“ leistet. Pedro Calles steht nach der Sensation in der letzten Spielzeit mit Vechta schon wieder auf einem Playoff-Spot. Es ist noch schwerer, mit einem Außenseiter eine Wahnsinnssaison zu bestätigen als diese ursprünglich zu spielen. Bedenkt man dann noch, dass der Spanier mit T.J. Bray, Austin Hollins und Seth Hinrichs seine drei Musketiere verloren hat, kann man seine Arbeit genauso wie die von JP nur über den grünen Klee loben. Dennoch glaube ich, dass die Auszeichnung an den Crailsheimer Head Coach Tuomas Iisalo gehen wird. Nachdem die Hohenloher dem Abstieg in der Vorsaison nur am allerletzten Spieltag von der Schippe springen konnten, stehen sie aktuell auf einem Playoff-Platz mit Heimvorteil in der ersten Runde! Die neuformierte Mannschaft liefert aber nicht nur Ergebnisse, sie spielt auch einen äußerst attraktiven Basketball, der die Handschrift des Trainers erkennen lässt.
Zur Person
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.