– Stefan Koch
Die Hamburg Towers sind nach fünf Siegen aus fünf Partien Tabellenführer. Neuer Trainer, neue Spieler, neues Glück? Wir schauen mal genauer hin.
Als die Saison 2019/2020 aufgrund der Pandemie abgebrochen werden musste, hatten die Hamburg Towers als Aufsteiger gerade einmal drei Siege auf dem Konto und es nicht geschafft, auch nur ein einziges Heimspiel zu gewinnen. Folgerichtig lagen sie auf dem letzten Tabellenplatz, und die rote Laterne lieferte nur schummriges Hinterhoflicht. Jetzt strahlen die Hamburg Towers heller als die Neonreklamen auf St. Pauli. Nach fünf bestrittenen Spielen grüßen die Hansestädter von der Tabellenspitze (Fun Fact dazu: Dafür muss schon das vierte Wertungskriterium bemüht werden, der Quotient aus dem Gesamtkorbverhältnis, da Hamburg und München punktgleich sind, kein direkter Vergleich stattgefunden hat und die Korbdifferenz exakt gleich ist. Wäre die Zahl der erzielten und kassierten Punkte auch noch identisch, würde das Los entscheiden?).
Die Towers auf Augenhöhe mit den Bayern? Das sind sie zunächst einmal „nur“ in der Tabelle. Aber die lügt bekanntlich nicht und ist in diesem Fall ein verlässlicher Indikator für die rasante Weiterentwicklung des Hamburger Projekts von Manager und Ex-Nationalspieler Marvin Willoughby. Dieses Programm hat viele Facetten. Dazu gehört auch die Verwurzelung in der Sozialarbeit im Stadtteil Wilhelmsburg. In diesem Nachschlag soll es aber ausschließlich um eine sportliche Bestandsaufnahme gehen. Da der aktuelle Höhenflug eng mit der Verpflichtung von Pedro Calles im Sommer zusammenhängt, kommt es zwangsläufig zu Vergleichen des Hamburger Teams mit dessen erfolgreichen Mannschaften in Vechta.
Mannschaftszusammenstellung
Nachdem sich das Towers-Team der Vorsaison nur bedingt erstligatauglich präsentierte, entschied sich der neue Coach für eine Runderneuerung des Kaders. Von seinem alten Arbeitgeber brachte er mit Max DiLeo einen Spieler mit, dessen Bedeutung man häufig unterschätzt. Der Deutsch-Amerikaner liefert keine außergewöhnlichen Statistiken ab, aber er hat die von Calles geforderte defensive Mentalität bis in die letzte Faser seines Körpers transportiert. Kein Spieler in der gesamten Liga verausgabt sich mehr auf dem Feld als der Hamburger Guard. Mit ihm steht ein Spieler zur Verfügung, der den Ton bezüglich des Einsatzes und der Verteidigung setzt.
Deshalb steht DiLeo auch mit dem 19-jährigen Talent Justus Hollatz, dem der Coach schon viel Vertrauen und Spielzeit gibt, in der Startformation. Der kreativere T.J. Shorts kommt von der Bank und kann dann gegen ermüdete Starter oder schwächere Backups wirbeln. Am Donnerstag fehlte beim 100:79-Sieg gegen Gießen mit Kameron Taylorder bislang beste Spieler der Towers. Kein Problem: Jordan Swing erzielte in 24 Minuten 28 Punkte, wobei er acht Dreier ohne Fehlwurf versenkte. Der Amerikaner ist als Schütze und großer Spielmacher ein Hybrid aus Typen wie Austin Hollins und Trevis Simpson auf der einen und T.J. Bray und Steve Vasturia auf der anderen Seite. Aufgrund der größeren finanziellen Möglichkeiten als in Vechta ist der Kader deutlich tiefer (Hans Brase übrigens, vom Vizemeister Ludwigsburg gekommen, hat angeschlagen erst fünf Minuten gespielt) und verfügt über eine gute Mischung aus Erfolgshunger und Erfahrung, wobei Bryce Taylor als Elder Statesman fungiert. Entscheidend ist aber, dass es Calles wieder geschafft hat, das Team zu einer verschworenen Einheit zu formen.
Defense
Mit 10,6 Ballgewinnen pro Partie führen die Hamburger die Liga in dieser Kategorie klar an. Ulm folgt dahinter mit 7,8. Nach wie vor setzt Calles als Trainer des Jahres 2019 auf Run-and-Jump Elemente, wobei ich aber den Eindruck gewinne, dass sie selektiver eingesetzt werden. Das Doubleteam kommt häufig von einem der Big Men. Grundsätzlich ist der Druck konstant und hoch, der Ballführer wird so früh wie möglich aufgenommen. Die vielen Steals kommen auch deshalb zustande, weil die Spieler mit sehr guten Händen am Ballbesitzer das Spielgerät stibitzen oder seine intendierte Richtung verändern.
Offense
Nur 11,8 Ballverluste machen die vielen Ballgewinne noch wertvoller. Mit dem estnischen Rookie Maik Kotsar steht ein potenter Inside-Scorer zur Verfügung, was sich in einer im Vergleich zu Vechta veränderten Ausrichtung niederschlägt. Bei den Niedersachsen setzte Calles deutlich stärker auf den Dreier und begründete dies mit der Teamstruktur und Advanced Stats. In Hamburg geht die Kugel deutlich mehr zum Brett. Die Towers nehmen die meisten Zweier in der Liga, stehen bei den Dreierversuchen aber nur im Mittelfeld. Allerdings ist die Quote mit 41,5 Prozent mehr als solide. In der der Endabrechnung führt dies zu mehr als 89 Punkten pro Partie (ligaweit der fünftbeste Wert).
Kochs Nachschlag
Es ist noch früh in der Saison, und außer auf Bamberg ist Hamburg noch auf keinen Kontrahenten mit Playoff-Potenzial getroffen. Aber der Grundstein ist gelegt, auch weil die Mannschaft stark reboundet, was sie im Spiel halten kann an Tagen, an denen andere Dinge nicht wie gewünscht funktionieren. Ich traue den Towers die Playoff-Teilnahme zu. Mit der Verpflichtung von Pedro Calles gelang Marvin Willoughby im Sommer eine wichtige Weichenstellung. „Hamburgs neue Basketball-Marke“, so titelte die Süddeutsche Zeitung in dieser Woche. Mit Calles an der Seitenlinie und dem rührigen Willoughby im Hintergrund kann der Club tatsächlich zu einer Marke werden. Es ist gut möglich, dass sich Hamburg mittelfristig als eine feste Playoff-Adresse etablieren wird – mit Tendenz zu mehr.
Zur Person
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.
