– Stefan Koch
Diese Woche wurde David Krämer von den Phoenix Suns aus dem Kader gestrichen, Joe Voigtmann dagegen kehrte im Sommer den Spieß um, sagte den Washington Wizards ab. Zwei Nationalspieler, zwei verschiedene Wege, zwei verschiedene Entscheidungen im Umgang mit dem Traum eines jeden Basketballers von der NBA. Richtig? Falsch? Gibt es viele Wege?
Ist David Krämer der aktuell siebte deutsche NBA-Spieler? Diese Frage stellte sich Ende Juli die deutsche Basketballgemeinde. Der 22-Jährige hatte ein Foto gepostet, das ihn in einem T-Shirt der Phoenix Suns bei einer Vertragsunterschrift zeigt, und mit den Worten „Dream come true. Blessed to be a part of the @suns organization“ kommentiert. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt weder Informationen zu Vertragsinhalten noch eine Bestätigung von Vereinsseite gab, berichteten die deutschen Medien schnell und eifrig über den nächsten deutschen Akteur in der besten Basketballliga der Welt.
Exhibit 10 ist kein garantierter NBA-Vertrag
Danach sickerte langsam durch, was für einen Kontrakt Krämer abgeschlossen hatte. Ein sogenannter Exhibit 10 ist kein garantierter NBA-Vertrag, sondern eine Chance darauf. Spieler mit einem Exhibit 10 unterzeichnen bei einem Team der NBA und gehen automatisch ins sogenannte Veterans Camp, in dessen Verlauf die 15 Spots für die Saison vergeben werden. Schafft es der Spieler, sich einen Platz zu sichern, erhält er einen Vertrag mit dem Minimumgehalt, das aktuell bei knapp 900.000 US-Dollar liegt. Klappt es nicht, geht er zum Farmteam in die G-League (wo es vergangene Saison ein Grundgehalt 7.000 Dollar im Monat gab), was aber zumindest mit der Chance verbunden ist, während der Saison nach oben beordert zu werden. Diese Vereinbarung gilt für eine Spielzeit.
Für David Krämer war das letztere Szenario das wahrscheinlichere, obwohl er mit aller Macht das erstere anstrebte. Am Dienstag ist der ganz große Traum erst einmal geplatzt. Knapp eine Woche vor Saisonstart strichen ihn die Suns aus ihrem NBA-Kader. Phoenix hatte im Sommer bereits 15 feste Verträge für die Spielzeit 2019/2020. Das war kein komplettes Knockout-Kriterium für den früheren Ulmer, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Newcomer from Germany einen Akteur mit garantierten Konditionen verdrängt, war eher überschaubar. Jetzt besteht noch die Möglichkeit, sich über die G-League für deren großen Bruder NBA zu empfehlen.
In der Summer League in Las Vegas konnte der Deutsche die Suns noch beeindrucken (Video), in der Preseason hat es dann nicht mehr gereicht. in dieser Phase steigt das Niveau im Vergleich zum Sommer deutlich an, möglicherweise hat aber auch Krämers Stressfraktur im linken Schienbein eine Rolle gespielt.
Mellis Weg als Vorbild?
Dem Flügelspieler bot sich eine Chance und er hat versucht, sie zu nutzen. Die meisten Basketballer träumen wie er von der NBA, und es gibt nur wenige Ausnahmen, die diese Erfahrung nicht machen wollen. Eine davon ist Sergio Llull, die Gallionsfigur von Real Madrid. Der Spanier fühlt sich in seiner Heimat als Star deutlich wohler als mit einer kleineren Aufgabe in der NBA. Dazu kommt, dass der Guard nur schlecht englisch spricht. Jedenfalls dreht er seit nunmehr einem Jahrzehnt der NBA eine lange Nase.
Ob Johannes Voigtmann dies mittel- und langfristig ebenfalls tun wird, bleibt abzuwarten. Im Sommer hatte der Big Man ein Angebot der Washington Wizards vorliegen, entschied sich aber dann für einen Wechsel zu CSKA Moskau. Seine Rolle in der NBA wäre „unklarer“ gewesen, führte der deutsche Nationalspieler an. Zudem ist der 27-Jährige ein Typ, der in Schritten und nicht in Sprüngen denkt. Das üppige Salär (geschätzt 1,1 Millionen Euro netto pro Saison) dürfte auch ein Faktor für die russische Hauptstadt gewesen sein.
Vielleicht orientiert sich Voigtmann bei seiner Karriereplanung an Nicolò Melli, der sich zunächst in Bamberg in der Euroleague etablierte, danach mit Fenerbahce Istanbul ein europäisches Powerhouse wählte, um jetzt den Schritt zu den New Orleans Pelicans zu machen. Vitoria-Moskau-NBA, vielleicht sieht ja Joes Weg genauso aus.
Kochs Nachschlag
Es gab Zeiten, da war die NBA für Europäer ohne eine Collegekarriere so gut wie nicht erreichbar. Das hat sich längst geändert. Keine Universität hätte Luka Doncic besser vorbereiten können als die Euroleague – das wissen auch die Amerikaner. Der Qualitätsunterschied zwischen Europa und dem Mutterland der Sportart schrumpft immer weiter. Die NBA war einmal eine andere Welt, sie ist es aber nicht mehr. Mit Moritz Wagner (der es übers College in die NBA schaffte) und Isaac Bonga verpassten zwei deutsche NBA-Spieler den Sprung in Henriks Rödls WM-Aufgebot, das ist Beleg genug.
Dennoch war für David Krämer nach 5,4 Punkten in 13 Minuten für einen Bundesligisten der Schritt (noch?) zu groß. In seinem Fall entschied die NBA, bei Joe Voigtmann war es umgekehrt. Er hat frühzeitig CSKA präferiert, obwohl er aus meiner Sicht eine realistische Chance bei den Wizards gehabt hätte. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. In die NBA führen mittlerweile ähnlich viele Wege wie nach Rom. Nun bleibt abzuwarten, ob Krämer es länger probiert, über die G-League in die NBA zu kommen oder ob er bei einem Scheitern langfristig wieder nach Europa zurückkehrt.
Zur Person
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.