– Stefan Koch
Warum steht RASTA Vechta aktuell auf dem vierten Platz? Was macht der Aufsteiger richtig und anders? Und welchen Anteil daran hat ein 35-jähriger Spanier, dem in Deutschland der Sprung vom Athletiktrainer zum Head Coach gelang?
Als ich mich Anfang November erstmals näher mit der tollen Entwicklung von RASTA Vechta befasste, unterhielt ich mich auch mit T.J. Bray. Ich erinnere mich noch genau an die ersten Worte, die mir der effizienteste Spieler der Bob-Marley-Jünger als Erklärung für die Auftritte seines Teams präsentierte: „Hier beginnt alles mit Pedro. Es ist leicht, für ihn zu spielen, weil er so stringent in seinen Anforderungen ist.“
Mittlerweile hat der „geilste Club der Welt“ unter anderem Berlin und Bamberg geschlagen und rockt die Liga, und es ist allerhöchste Zeit, den Werdegang und die Philosophie von Head Coach Pedro Calles zum Thema des Nachschlags zu machen.
Seit 2012 in Deutschland
Ich kenne Pedro seit 2012. Zu dieser Zeit war ich Coach bei den Artland Dragons und auf der Suche nach einem neuen Athletiktrainer, weil sich Stefan Bramlage mit einem Fitnessstudio selbstständig gemacht hatte. Unser Geschäftsführer Alex Meilwes schlug einen Spanier vor, den er während eines Auslandssemesters in Finnland kennengelernt hatte. Nach einem Gespräch mit diesem jungen Mann war ich sicher, dass er unser Trainerteam fachlich und menschlich bereichern würde – und so kam Pedro Calles 2012 nach Deutschland. Nach meinem Abschied 2013 fungierte der diplomierte Sportwissenschaftler und Inhaber einer spanischen A-Trainer-Lizenz unter Tyron McCoy als Assistant Coach. Als sich die Dragons 2015 aus der Beletage verabschiedeten, heuerte er im nur knapp 30 Kilometer entfernten Vechta als Co-Trainer an. Bereits 2013 war ihm seine Frau, eine Tierärztin, nach Deutschland gefolgt. Seit September sind sie stolze Eltern eines Sohnes.
Run and Jump
Im Sommer 2018 übernahm Pedro Calles beim Aufsteiger RASTA Vechta die Verantwortung und war damit der jüngste Head Coach der Liga (nun ist es der ein Jahr jüngere Federico Perego in Bamberg). Seine Maxime vor der Saison hieß „Charakter ist wichtiger als Talent“, und seine Spielidee ist der Aítos sehr ähnlich, dessen Einfluss auf seine Philosophie er auch hervorhebt. Für Pedro sind Grundlagen und Prinzipien wichtiger als taktische Systeme und das Scouten des Kontrahenten. Im Training verbringt er viel Zeit damit, das Entscheidungsverhalten seiner Spieler zu optimieren, wobei er der Verteidigung eine größere Rolle als dem Angriff zuweist: „Mit der Verteidigung kann man das Spiel stärker beeinflussen“, ist er überzeugt. Dazu greift er gerne auf seine Run-and-Jump-Verteidigung zurück, die in der Liga viel Schrecken verbreitet: Einer seiner Akteure verlässt seinen Gegenspieler, um den Ballbesitzer überraschend zu doppeln (siehe Video rechts). Die anderen Verteidiger rotieren dann nach, um die Passwege zu schließen. Wichtig ist, dass die Spieler selbst entscheiden, wann sie eine Run-and-Jump-Aktion starten wollen.
Drive, kick und Extrapass zum Dreier
Das offensive Markenzeichen neben dem durch die Ballgewinne etablierten Fast Break heißt drive, kick und Extrapass – am liebsten zum Dreipunktewurf (siehe Video rechts). Vechta nimmt die meisten langen Würfe der Liga. Als Gründe dafür nennt Pedro Calles sein Personal und die Erkenntnisse aus den Advanced Stats. Allerdings wirft mit Josh Young nur ein einziger Spieler besser als 40 Prozent von Downtown. Mit T.J. Bray und Austin Hollins hat RASTA im Sommer zwei Akteure hinzubekommen, die sowohl die Initialzündung per Penetration liefern als auch am Ende der Nahrungskette mit dem Dreier abschließen können. Die beiden Stars, die Talent und Charakter mitbringen, drücken addiert 15 Mal pro Spiel von der Dreipunktelinie ab. Nebenbei führt Bray – sicherlich kein klassischer Point Guard – die Liga bei den Assists an.
Kochs Nachschlag
„Unser Ziel ist es, uns jeden Tag zu verbessern, und unser Traum ist der Klassenerhalt“, sagte Pedro im November zu mir. Daran habe sich auch nach dem Sieg in Bamberg nichts geändert, erklärt der Spanier in aller Bescheidenheit. Sein Team zeichnet sich durch großen Zusammenhalt aus, das spürt jeder, der sich ein Spiel des Aufsteigers anschaut. Genauso deutlich ist auch erkennbar, dass Vechta über viel Selbstvertrauen verfügt, und damit verbunden den Glauben in jedem Spiel wettbewerbsfähig zu sein. Das ist auch deshalb beachtlich, weil die Mannschaft die ersten drei Partien verloren hatte.
„Hier beginnt alles mit Pedro!“: Es war ein genialer Schachzug von Sponsor und Geschäftsführer Stefan Niemeyer, den 35-Jährigen zum Head Coach zu machen. Pedro ist nicht nur ein großartiger Trainer und heißer Kandidat für die Auszeichnung „Coach of the Year“, sondern auch ein absoluter Sympathieträger in der niedersächsischen Kleinstadt. Der Klassenerhalt ist schon so gut wie in trockenen Tüchern. Sollte Calles den bislang eingeschlagenen Weg 2019/20 fortsetzen, wird er nicht mehr zu halten sein. Neben dem Interesse gut betuchter Clubs aus unserer Liga könnte es dann auch Vereine aus der spanischen ACB geben, die den smarten Senkrechtstarter verpflichten wollen.
Zur Person:
Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.